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Bolivien: Buen Vivir und Pachamama |
Die Parallelen zwischen den Verfassungsprozessen in Bolivien und Ecuador sind offensichtlich: Beide Länder haben die Verfassung als Neugründung ihrer Staaten in einem nachkolonialen Kontext verstanden, beide bekennen sich zum Konzept des Plurinationalismus, und in beiden tauchen die Konzepte des Buen Vivir und der Rechte der Natur auf. Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Verfassungen.(7)
Die bolivianische Verfassung steht deutlich in der Tradition der Menschenrechte der dritten Generation (WSK-Rechte), wobei auch die Bewahrung der Natur eingeschlossen ist. Der oft zitierte Artikel 335 zeigt, inwieweit auch traditionelle Entwicklungskonzepte in die Verfassung Eingang gefunden haben: Hier werden die «Industrialisierung und Kommerzialisierung der natürlichen Ressourcen als Priorität des Staates» bestimmt.
Das Konzept des «vivir bien»(8) wird in Artikel 8 eingeführt, wo es um die grundlegenden Prinzipien und Orientierungen des Staates geht. Der Staat fördert als ethisch-moralische Prinzipien der pluralen Gesellschaft: «amaqhilla, ama llulla, ama suwa» (sei nicht faul, sei nicht lügnerisch, sei kein Dieb), suma qamaña» («vive bien»), «ñandereko» («vida armoniosa» – harmonisches Leben), «teko kavi» («vida buena»), «ivi maraei» («tierra sin mal» – Erde ohne Böses, auch als intakte Umwelt übersetzt) und «qhapaj ñan» («camino o vida noble» – der Weg der Weisheit).(9)
Die Verbesserung der Lebensqualität und «vivir bien» sind weiterhin in Artikel 306 als Grundlage des ökonomischen Modells Boliviens aufgeführt.
In der politischen Rhetorik, die vor und nach dem Verfassungsprozess in Bolivien entwickelt wurde, spielen aber «Pachamama» und die Rechte der Natur eine besondere Rolle. Im Dezember 2010 wurde das «Gesetz zum Schutz der Erde» erlassen. Das Gesetz beruft sich auf die universelle Erklärung der Rechte der Mutter Erde, die während des alternativen Klimagipfels in Cochabamba verabschiedet worden ist. Boliviens Vizepräsident und wichtiger Theoretiker der Regierungspartei, Alvaro Garcia Lima, sieht in dem neuen Gesetz ein geradezu epochales Ereignis: «Zum ersten Mal auf der Welt wird das Verhältnis zwischen Mensch und Natur auf die Grundlage von Ursprünglichkeit, Gegenseitigkeit und Dialog gestellt.»(10)
«Das Gesetz sieht die Errichtung einer staatlichen Behörde vor (Defensoría de la Madre Tierra), deren Zuständigkeiten und Aufgaben erst noch festgeschrieben werden müssen. Die Behörde solle über die Gültigkeit, Förderung, Verbreitung und Umsetzung der Rechte der Madre Tierra wachen. Im Gesetzestext wird die Notwendigkeit betont, ein Gleichgewicht in der Natur zu bewahren als Voraussetzung für die Regeneration der Madre Tierra, des Respekts und der Wahrung ihrer Rechte. Das Gesetz sieht zudem ein Verbot der Vermarktung der «Mutter Erde» sowie eine Förderung der Interkulturalität vor. Zu den Rechten der Erde gehören unter anderem saubere Luft und die Freiheit vor Verschmutzung» (Blickpunkt Lateinamerika vom 9.12.2010).
Das Recht auf Regeneration ist dabei ein Schlüsselbegriff, der operationalisierbar ist und weit über allgemeine Absichtserklärungen hinausgeht. Interessant ist aber noch der Hinweis, dass eine wichtige indigene Organisation, CONAMAQ, kritisierte, das Gesetz sei nicht mit den indigenen Völkern abgesprochen.(11)
Fußnoten:
(7) Eine gute Darstellung der Unterschiede findet sich bei: Gudynas 2011. Der folgende
Abschnitt stützt sich wesentlich auf die Analyse Gudynas.
(8) In Bolivien spricht man von «vivir bien». International hat sich aber eher Buen Vivir durch-
gesetzt.
(9) In dem Verfassungstext finden sich sowohl die Begriffe aus verschiedenen indigenen Sprachen (vorwiegend Aymara) wie auch die spanischen Übersetzungen. Dies soll den plurikulturalen Charakter der Verfassung betonen. Einen guten Überblick auf Deutsch über die Verfassung Boliviens findet sich im Internet-Magazin Quetzal: http://www.quetz-al-leipzig.de/lateinamerika/bolivien/auf-der-suche-nach-einer-neuen-ordnung-19093.html
(10) http://www.adital.com.br/site/noticia.asp?lang=ES&cod=52963
(11) CONAMAQ steht für «Consejo Nacional de Ayllus y Markas del Qullasuyu”, eine einflussreiche indigene Organisation, die sich für die Wiederherstellung traditioneller Institutionen einsetzt und durch ihre Ablehung von politischen Parteien in Widersprüche mit der Morales-Regierung gerät. Mehr dazu bei: Almut Schilling Vacaflor (2008), die auf die Diversität indigener Organisation und Standpunkte hinweist. Zu der Kritik an dem erwähnten Gesetz: http://www.lostiempos.com/diario/actualidad/nacional/20101209/conamaq-evo-solo-busca-protagonismo-con-ley-madre-tierra-en_103060_200817.html
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