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Ruediger Suenner Dalai Lama 2
28.04.2017, 09:55

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Brutale Ikonographie

Neben der Frauenfeindlichkeit werfen die Trimondis dem tibetischen Buddhismus eine "sadomasochistische Lust am Makabren und Aggressiven" vor, was sich vor allem in seinen Bilddarstellungen und den sog. Gokhangs (Schreckenskammern unter den Klöstern) zeige. Hier wuchere es nur so von abgeschlagenen Schädeln, Hackmessern, Instrumenten aus Menschenknochen, Leichenteilen, dämonischen Fratzen, Henkern, Zombies und sonstigen Horrorgestalten.

Warum, so fragen die Autoren, ist die Schutzgöttin des Dalai Lama ausgerechnet die Göttin Palden Lhamo (Bild), die auf der abgezogenen Haut des von ihr eigenhändig ermordeten Sohnes über einen kochenden Blutsee reitet, behängt mit Schädeln und abgeschlagenen Menschenköpfen? Warum tragen die sexuellen Gefährtinnen (Dakinis) gerne Hackmesser und mit Blut gefüllte Schädelschalen in der Hand und wieso werden junge Lamas während ihrer "Initiaition" in Horrorkammern eingesperrt, wo Leichenteile, Knochentrompeten und morbide Schreckgespenster auf sie warten?

Tibetologen und buddhistische Geistliche antworten darauf, dass all dies rein symbolische Gestalten seien, die die Dämonen des "niederen Selbst" (Begierden, Ängste etc.) verkörperten: Um zur Erleuchtung aufzusteigen, müsse der Adept sich ihnen mit voller Wucht stellen, ihre "Leerheit" erkennen und sie so endgültig abtöten.

Zumindest für das alte Tibet sind Dinge wie Schwarze Magie und Schadenzauber belegt. So gab es etwa die sogenannten "Lingas" (Bild rechts), rituelle Abbildungen oder Figuren, in die alle Negativa des Feindes hineinprojiziert wurden, worauf man sie in dessen Haus brachte oder wie eine Voudoo-Puppe quälte.

"In einem so stark von der Magie geprägten Weltbild wie dem tibetischen", so Gerhardt W. Schuster in seinem aufschlussreichen Buch "Das alte Tibet - Geheimnisse und Mysterien", "führten Hass und Neid oft zu dem Entschluss, missliebige Menschen durch Schadenzauber zu schädigen. Allgemein bekannt war den Tibetern die starke Wirkung von sowohl positiver als auch negativer Gedankenenergie. Verstärkt durch die Anrufung zornvoller Gottheiten, konnte aus häufigem Verwünschen und Verfluchen einem Widersacher durchaus Schaden erwachsen. wesentlich nachhaltiger aber war die rituelle Verfluchung durch einen sachkundigen Magier." Gelegentlich wurde sogar von staatlicher Seite auf schwarzmagische Praktiken zurückgegriffen: Noch während der Jugendzeit des jetzigen Dalai Lama praktizierten Mönche des Mindoling-Klosters bei Lhasa aufwendige Zeremonien, um eine Invasion von Gurkha-Truppen aus Nepal abzuhalten (Schuster 135).

Ähnlich bizarr mutet für den Westen, der im Mittelalter auch solche Praktiken kannte, das Phänomen des Ritualmordes an, das es heute in Europa vielleicht noch in Mafia-Kreisen gibt. Ein aufsehenerregendes Beispiel, das auch den Dalai Lama tief verstörte, war der äusserst brutale Mord, der in Dharamsala am 4. Februar 1997 an einem seiner engsten Vertrauten (Lobsang Gyatso) sowie an zweien seiner Schüler verübt wurde. Täter dieses blutigen Spektakels, bei dem sogar Kehlen durchgeschnitten und Hautteile der Opfer abgezogen wurden, waren konservative Anhänger der Gelbmützensekte, die den furchteinflössenden Rachegott Dorje Shugden ("Brüller des Donnerkeiles") verehren: vermutlich sollte ihr Mord ein Protest gegen die Verurteilung dieser Shugden-Anbeter und ihrer "reaktionären" schamanistischen Praktiken durch den Dali Lama sein. In diesem Falle, der natürlich auch wieder als Einzelbeispiel bzw. Pervertierung von Mythen gedeutet werden kann, scheint die "handgreifliche" Macht bestimmter Symbolgehalte plötzlich doch einmal ganz greifbar zu werden: Es ist wahrscheinlich, dass die Mörder sich durch intensive Verinnerlichung mit der Gewaltaura ihres Vorbildes so stark verbanden, dass sie am Ende die Tat als zwangsläufige Befolgung einer "höheren Eingebung" bzw. als Handlung der Gottheit selbst empfanden.

Ähnliches gibt es natürlich auch im Westen, wenn z.B. psychotische Mörder "im Auftrag" von Stimmen, Dämonen etc. handeln oder okkult faszinierte Jugendliche durch "Satan" oder "Odin" zu rituellen Morden inspiriert werden. Auch die islamistischen Attentäter des 11.September handelten ja in "göttlicher Mission" und waren sich bei ihrem "Heiligen Krieg" keiner Schuld bewusst. Keine Kultur - und sei sie noch so "aufgeklärt" - ist vor solchen erschreckenden Atavismen gefeit. Aber im Spektrum tibetischen Glaubens wurden und werden solche Taten nicht von verirrten Einzelgängern, sondern von religiösen Vertretern begangen, die sich durch ein komplexes System von Göttern und Dämonen abgesichert glauben. Auch wenn dieses nicht zwangsläufig zu solch monströsen Geschehnissen führen muss, so ist doch die Forderung berechtigt, offener über derartige Schattenseiten des Okkulten zu diskutieren bzw. die Frage zu stellen, wie diese mit Modernisierungs- und Reformprozessen eines neuen Tibet zusammengedacht werden sollen.

Archaische Geschichte

Während die Anhänger des Dalai Lama und auch dieser selbst die Geschichte Tibets gerne als eine von Frieden und Weisheit getragene Epoche deuten, ergeben die Recherchen der Trimondis ein anderes Bild: Neben meditativer Stille und einer Philosophie des Mitgefühls herrschten hier auch über Jahrhunderte Beamtenwillkür, diktatorische Entscheidungen, Gehirnwäsche, Dämonenglauben, spirituelle Kontrolle, kriecherische Servilität, der Gegensatz von Massenarmut und orientalischem Reichtum der Herrschenden, Mangel an jeder Hygiene, grausamste Straf- und Folterpraxen sowie privater und politischer Mord.

Diese Schattenseiten des vom Westen zurechtgeträumten Paradieses auf dem "Dach der Welt" werden von heutigen tibetischen Führern und ihren westlichen Anhängern meist unterdrückt. Während letztere nicht müde werden, in der eigenen europäischen Geschichte z.B. Leibeigenschaft, Sklaverei und Ausbeutung anzuprangern, übersehen sie dieselben Phänomene im weit entfernten und über allen Wolken thronenden Geheimland Tibet. Wichtig ist auch der Hinweis der Trimondis, dass bspw. der Karmaglaube dafür eingesetzt wurde, soziale Unterschiede spirituell zu rechtfertigen: Priviligiertheit konnte so als Belohnung für gute Taten in einem früheren Leben gedeutet werden und Armut als Busse für ehemalige Verfehlungen. Während sich der Westen über die barbarischen Exzesse der Taliban empörte, übersah er gerne, dass noch bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts öffentliche Auspeitschungen in Tibet üblich waren, von früheren Strafformen wie Verstümmelung etc. einmal ganz abgesehen. Der tibetische Klerus war nicht nur eine friedfertige Gruppe von studierenden Mönchen, sondern - laut den Trimondis - auch ein privates, profitorientiertes Kapitalunternehmen, in dem politische Intrigen und Konkurrenzkämpfe der verschiedenen Orden an der Tagesordnung waren. Zwischen den Eingeweihten und der analphabetischen Masse herrschte kein demokratischer Dialog, sondern Indoktrination und - wenn nötig - brutale Gewalt. Wie schnell dieses prekäre Gleichgewicht umkippen konnte, schilderte z.B. Heinrich Harrer, der in den 40er Jahren während des Neujahrsfestes einmal die Verwandlung von okkultem Massentheater in kollektive Raserei beobachten konnte:

"Wie aus der Hypnose erwacht, stürzen in diesem Augenblick die Zehntausende aus der Ordnung ins Chaos. Der Übergang ist so plötzlich, dass man fassungslos ist. Geschrei, wilde Gesten ... sie trampeln sich gegenseitig zu Boden, bringen sich fast um. Aus den noch weinend Betenden, ekstatisch Versunkenen sind Rasende geworden. Die Mönchssoldaten beginnen ihr Amt! Riesige Kerle mit ausgestopften Schultern und geschwärzten Gesichtern - damit die abschreckende Wirkung noch verstärkt wird. Rücksichtslos schlagen sie mit ihren Stöcken auf die Menge ein ... Heulend steckt man die Schläge ein, aber selbst die Geschlagenen kehren wieder zurück. Als ob sie alle von Dämonen besessen wären." (Schatten des Dalai Lama, 534)

Der "Potala" in Lhasa: Zentrale Hochburg
jahrhundertelanger spiritueller und politischer Macht

Magische Politik

Wenn die Trimondis behaupten, dass der tibetische Buddhismus nach wie vor ein magisch-okkultes Weltbild pflege, in dem "Visionen", "Eingebungen" und "Götter" sogar die Politik mitbestimmen, so lässt sich dies am klarsten anhand des sogenannten Staatsorakels belegen, das am Hofe des Dalai Lama eine wichtige Funktion innehat. In Trance ruft dieses den Zorngott Pehar, um Weisungen für den Reinkarnationsort etwa eines verstorbenen Lamas zu erhalten. Bei solchen Ritualen spielen sich für den Westler bizarr anmutende Szenen ab: Das Orakel, meist ein junger Mann mit medialen Fähigkeiten, zuckt in seinem kiloschweren Ornat hin und her, bis sich ihm die Augen verdrehen und Schaum aus dem Mund tritt. Um ihn herum Mönche mit Diktaphonen, die gebannt jedes Murmeln und Stammeln aufzeichnen, das Botschaften über Himmelsrichtungen und Topographien Tibets enthalten soll, wo die Reinkarnation des geistlichen Führers in Form eines kleinen Jungen vermutet wird. Trotzdem einige "progressive" Tibeter diese archaische Methode inzwischen auch mit Skepsis ansehen, verteidigt sie der Dalai Lama nach wie vor als zuverlässige "Informationsermittlung":

Das Nechung-Orakel in Trance

"Ich halte aus dem einfachen Grund daran fest, weil ich im Rückblick auf zahlreiche Befragungen feststellen konnte, dass das Orakel noch immer recht hatte ... Ich glaube nicht nur an Geister, sondern an verschiedene Arten von Geistern! ... Zu dieser Kategorie gehört auch das Staatsorakel Nechung. Wir halten diese Geister für zuverlässig, denn sie haben eine lange Geschichte ohne jede Kontroverse in über 1000 Jahren." (Schatten des Dalai Lama, 548)

Trotzdem sich der Dalai Lama bei seinen Auftritten in Europa und Amerika als rational denkender Mensch gibt, herrschen in seinem Amtssitz in Dharamsala nach wie vor Orakelkunst, Reinkarnationsglaube, Sternenkunde, Traumdeutung und Losziehung vor, auch um wichtige Fragen der exiltibetischen Politik mitzubestimmen. So befragte man auch nach dem bereits oben erwähnten Ritualmord der Shugden-Anhänger das Orakel, wie man sich angesichts der furchtbaren Ereignisse zu verhalten habe. Ich erwähne dies hier gar nicht einmal deswegen, weil ich solchen "okkulten" Dingen prinzipiell unversöhnlich gegenüberstehe: Auch in unseren "westlichen" Entscheidungsfindungen spielen Intuition, Eingebung, Inspiration, "innere Stimmen" und sogar Träume eine gewisse Rolle, ganz zu schweigen von der Arbeit der Künstler, die ohne so etwas gar nicht auskommt. Aber in Tibet wird darüber kaum offen gesprochen und das Orakelwesen liegt in der Hand einiger weniger Auserwählter, die naturgemäss damit auch Missbrauch betreiben können. Zudem ist es nicht eingebettet und ausbalanciert durch rationale und demokratische Prozesse, sondern bestimmt mit einer gewissen unhinterfragten Absolutheit das spirituelle und politische Geschehen.

Als weiteres Beispiel für "magische Politik" führen die Trimondis auch den sogenannten Shambhala-Mythos an, eines der Kernstücke des Kalachakra-Tantras, in dem die Etablierung eines goldenen buddhistischen Zeitalters und ein erbitterter Krieg gegen Glaubensfeinde vorausgesagt wird. Dort ist die Rede von "zornigen Raddrehern", die in einer "letzten Schlacht" die Feinde der buddhistischen Lehre vernichten werden, wobei bestimmte Begriffe auf den Islam deuten. Zwar sind solche Passagen in gewisser Weise historisch plausibel, da zur Entstehungszeit des Shambhala-Mythos (10. Jahrhundert) tatsächlich islamische Krieger in buddhistischen Gemeinden Indiens viel Unheil anrichteten. Aber man kann sich trotzdem fragen, wieso solche Anachronismen nach wie vor zur aktuellen "spirituellen Politik" Tibets gehören. Sie sind letztlich genauso unzeitgemäss, irrational und gewaltgeladen wie die Rechtfertigung von "Heiligen Kriegen" durch arabische oder jüdische Fundamentalisten, die ebenso auf jahrhundertealte Mythen zurückgreifen, um aktuelle politische Konflikte zu lösen.





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