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Hans Schumacher Alben 2
28.04.2017, 09:55

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Die Alben im Kampf um die Wirklichkeit

Teil 1: Drei christliche Strategien gegen das Heidentum

Wie kam es nun dazu, dass die Alben verschwunden sind- außer auf Island? Was das Verschwinden der Alben anbelangt, gibt es zwei populäre Vorstellungen, von denen die eine völlig, die andere teilweise falsch ist. Die erste besagt, das Christentum habe den "Glauben" an die Alben ausgerottet. Die zweite macht das Maschinenzeitalter für das Aussterben von "Volksglaubensvorstellungen" verantwortlich.

Es ist zweifellos richtig, dass es christlicherseits Versuche gab, den "Glauben" an die Alben als Teil des alten europäischen Heidentums auszurotten. Als Karl der Große heidnische Praktiken in seinem Herrschaftsbereich unter Todesstrafe stellte, war es ihm und seiner Administration ernst damit. Am "guten Willen" mangelte es gewiss nicht, wohl aber an der Durchführbarkeit. Bei den oben von Maier erwähnten Angelsachsen finden wir noch im 10. und 11. Jahrhundert Namen wie Aelfric, Aelfhere (10) und Aelfwold (11), und zwar unter denen der gesellschaftlich Herausragenden in einer Zeit, in welcher der Kampf gegen die größtenteils noch heidnischen Skandinavier der bedeutendste Konflikt für die angelsächsische Oberschicht war und auch als christlich-heidnischer Kampf verstanden wurde. Die Träger dieser Namen waren gewiss keine Heiden, aber das Beharrungsvermögen der angelsächsischen Namenssitten (man benannte seine Kinder keinesfalls willkürlich) muss auch zum beharrlichen Verbleib der Alben in ihren Felsen und Hügeln beigetragen haben. Vielleicht ist er nicht allzu falsch, sich das Verhältnis der angelsächsischen Notablen zu den Alben ähnlich vorzustellen wie das der modernen Isländer zu ihnen: Als gute Christen wussten sie selbstverständlich, dass es eine schreckliche Sünde war, ihnen zu opfern, als Angelsachsen wussten sie, dass es unklug war, es zu unterlassen.

Anders lag die Sache in Skandinavien: Die in Snorri Sturlusons Heimskringla überlieferte Dichtung des christlichen Skalden Sighvatr Þorðarsson schildert dessen Reise im Auftrag Olavs des Heiligen (1015 - 1028 (vertrieben), 29. Juli 1030 erschlagen) nach Svealand, also mitten hinein in die Brutstätte des Heidentums. Sighvatrs Bericht ist ein einziges Klagelied über die Zumutungen, denen er ausgesetzt war. Es findet sich dort die oft zitierte Stelle:

"Komm nicht herein, du Unhold!"Hinaus jagte die ekle Alte mich,
Sagte die Alte zu mir. "DennAls sei ich ein Wolf aus dem Wald,
Hier sind wir alle HeidenSo dass sie drinnen im Haus
Nicht wollen Odins Zorn!"Ganz für sich das Albenopfer hatten."(12)

Snorri beschönigt in seinem Hauptwerk mitnichten, wie Olaf der Heilige und Olaf Tryggvason die christliche Heilsbotschaft mit Totschlag und Folter verbreiteten. In Skandinavien war ein Festhalten am Heidentum gleichbedeutend mit Widersetzlichkeit gegen die Entrechtung und Entmachtung der freien Bauern durch die Könige, die aus dem letztendlichen Scheitern des Norwegerkönigs Harald Schönhaar gelernt hatten, dass sie ihr Ziel ohne das Christentum nicht erreichen würden.

Folgerichtig kam es auch im Norden des angelsächsischen Herrschaftsbereichs zur Abkehr vom Christentum, als die Skandinavier sich dort festgesetzt hatten, wie Erzbischof Wulfstan entsetzt in seiner berühmten "sermo lupi ad anglos" schilderte.(13) Sehr im Gegensatz zum Tenor zeitgenössischer Beschönigungen der Christianisierung Europas wusste die Landbevölkerung ganz genau, was die Glocke geschlagen hatte, als man ihr die Frohe Botschaft aufzwang.

An dieser Stelle lohnt es sich, einige Vorgänge etwas genauer zu betrachten. Denn auch Berichte, die nicht direkt mit Alben zu tun haben, werfen ein Licht auf unser Thema. Insbesondere einige Aspekte der Besiedlungsgeschichte Islands sind für uns von Interesse. Da wir dort die Alben noch vorfinden, kann es für uns nicht gleichgültig sein, wie und in welchem Kontext die isländische Gesellschaft entstand und was diese Geschichte für das Selbstverständnis der Isländer bedeutet.

Trotz einer Mehrzahl von Königen in Norwegen muss man sich die Verhältnisse zu Beginn der Machergreifung Harald Schönhaars in Norwegen ( Regierungszeit 868 - 928) so vorstellen wie später in Island: Bonden (freie Bauern), organisiert in Thingbezirken und -verbänden (fylkis), regelten ihre Angelegenheiten selbst und duldeten niemanden über sich. Dies, und nicht die anderen Könige, war Haralds Hauptproblem. Im Gegensatz zum späteren Dänenkönig Harald Blauzahn, der Zwangschristianisierung und Zentralisierung Dänemarks versuchte, stand Norwegen nicht unter dem Druck schwer bewaffneter, aggressiver Nachbarn - in Harald Blauzahns Fall der deutsche Kaiser. Wahrscheinlich war Harald Schönhaar inspiriert von der Macht der Karolinger und ihrer Nachfolger über ihre Untertanen. Auf dem europäischen Kontinent gab es keine freien Bauern mehr, sondern wehr- und hilflose Untertanen, welche die schwerbewaffnete Militärelite, die sie unterdrückte, ernähren mussten. Haralds Vorgehen war jedenfalls eindeutig so ausgerichtet. Snorri: "Dem ganzen Land, das er sich erobert hatte, gab König Harald nun Recht und Gesetze (d.h. er brach das alte Recht, Anm d. Verf.), er machte sich das freie Bauernland zu Eigen und ließ sich von allen Bauern Tribut zahlen, von reichen wie armen. Über jeden Bezirk setzte er einen Jarl, der die Gesetze im Land aufrecht erhalten, Lehnsgelder und Königsabgaben einziehen sollte. Die Jarle bekamen ein Drittel der Zölle und Abgaben für ihren Tisch und auch ihre Beköstigung. Jedem Jarl standen vier Hersen oder mehr zu, jeder von ihnen sollte 20 Mark für seinen Unterhalt erhalten. Jeder Jarl sollte dem König 60 Kämpen ins Heer liefern, jeder Herse 20. So sehr hatte Harald Steuern und Abgaben vermehrt, dass seine Jarle mehr Reichtum und Macht besaßen als vorher die Könige. Als man dies in der Gegend von Trondheim begriff, suchten viele Große König Harald auf und wurden seine Männer."(14)

Harald beraubte also die Bonden ihrer sozialen Existenz und machte sie zu Abhängigen, und mit den eingetriebenen Werten versah er eine von ihm abhängige militärische Hierarchie - Jarl und Herse sind Ränge von Kriegsanführern. Die Parallele zum europäischen Kontinent ist nicht zu übersehen. Es wird auch deutlich, warum sich etliche der "Großen" ihm anschlossen. Haralds Maßnahmen zielten auf die Vernichtung der Bonden als soziale Schicht.

Aber nicht alle bedeutenden Persönlichkeiten spielten Haralds Spiel. So berichtet eine Isländersaga, die Laxardaelarsaga: "In den späten Lebenstagen Ketils (eines Hersen, Anm. d. Verf.) hob Harald Schönhaar sich zu solcher Macht, dass kein Gaukönig im Land mehr etwas galt oder sonst ein Häuptling, vielmehr er allein über ihre Befugnisse bestimmen wollte. Als nun Ketil erfuhr, dass von König Harald ihm das gleiche zugedacht sei wie den anderen Großen: Keine Buße zu bekommen für Verwandte und sich selbst in einen Pächter umgewandelt zu sehen (! Anm. d. Verf.), da berief er seine Verwandten zu einem Thing und hob so an zu sprechen: "Bekannt ist euch, wie sich die Dinge zwischen mir und König Harald gestaltet haben; darüber ist nicht weiter zu reden, denn wichtiger ist es für uns, einen Entschluss zu fassen gegenüber dem uns noch drohenden Unheil. Ich weiß bestimmt, dass König Harald uns feindselig gesinnt ist; ich meine, dass wir von dieser Seite nichts Gutes zu erwarten haben. Meiner Ansicht nach stehen uns zwei Wege offen: Das Land zu fliehen oder uns erschlagen zu lassen, jeder auf seinem Platz. Ich bin ja nun ganz bereit, des gleichen Todes zu sterben wie meine Verwandten, doch will ich euch durch meinen Entschluss allein nicht in ein solches Unglück bringen: Ich kenne ja die Gesinnung unserer Verwandten und Freunde, dass ihr euch nicht von uns trennen werdet, sollte es auch eine Männerprobe gelten, wenn ihr mir folgt.""

Wichtig ist hier, dass der Herse Ketil nicht befiehlt, sondern eine Versammlung einberuft und bereit ist, sich nach dem Ergebnis der Beratung zu richten. Der Autor der Saga, der bei seinen Lesern ein Wissen über die Verhältnisse unter Harald Schönhaar voraussetzen konnte, zeigt den krassen Gegensatz zwischen diesen und den alten Verhältnissen, repräsentiert von Ketil und den Seinen. Die Versammlung beschließt die Auswanderung. Ketil und sein Anhang kommen zuerst nach Schottland, seine Tochter Unn führt die Expedition weiter auf die Orkneys und dann auf die Faröer, überall dort begründet sie Häuptlingsgeschlechter. Schließlich kommt sie mit den Ihren nach Island. Wir werden im Folgenden sehen, dass der Verfasser der Laxardaelarsaga all diese Örtlichkeiten aus gutem Grund in seine Erzählung aufgenommen hat.

Harald indessen wirft die restlichen Alt-Könige nieder und bekämpft Aufstände - auf die Details können wir verzichten. Für uns ist interessanter, wie die Betroffenen reagierten. Snorri: "Nach diesem Seegefecht fand Harald keinen Widerstand mehr in Norwegen, denn seine stärksten Gegner waren alle gefallen, andere außer Landes geflohen. Und das war eine erhebliche Zahl, denn damals wurden große Flächen Ödlands besiedelt. Da zogen viele nach Jämtland und Helsingland (außerhalb von Haralds Machbereich, Anm. d. Verf.), doch waren beide Landschaften schon vorher von Norwegern bewohnt. In dieser Unruhezeit, als Harald sich Norwegens bemächtigte, wurden fremde Länder entdeckt und besiedelt: Die Faröer und Island, auch wanderten einige nach Hjaltland (Shetlands) aus, viele Vornehme aus Norwegen wurden landesflüchtig wegen Harald, wurden Wikinger im Westen. Im Winter blieben sie auf den Orkneys und Sudereys (Hebriden), im Sommer aber verheerten sie stets Norwegen und brachten dem Land manchen Schaden. Doch gab's unter den Reichen auch viele, die sich in König Haralds Gewalt begaben, seine Untertanen wurden und im Land blieben."(15)

Die genannten Inselgruppen wurden also Widerstandsnester, von denen aus Haralds Feinde gegen diesen zurückschlugen. Auch die Wald- und Einödebewohner werden dort nicht Ruhe gehalten haben. Zu den auch für Heutige einsichtigen Gründen für solches Handeln kommt noch ein weiterer hinzu, der für die Betroffenen womöglich im Vordergrund stand: Die Menschen dieser Zeit kannten den von der Moderne konstruierten Unterschied zwischen Privatperson und sozialer Rolle nicht. Harald und die Seinen hatten besonders die Bonden in mehr als einer Hinsicht entwurzelt. Landbesitz und altes Recht waren für Bonden essentielle Elemente ihres Daseins. Als Harald versuchte, den "Stand" der Bonden zu vernichten, schuf der dadurch Menschen, die in jeder Hinsicht nichts mehr hielt, die aber wussten, wem sie das zu verdanken hatten. Die Zeche zahlten nicht nur die Daheimgebliebenen, sondern auch die wehrlos gemachten Bewohner des Kontinents, deren Herren ihre vollmundigen Schutzversprechen gegen die Wikinger nicht halten konnten. So trug Harald Schönhaar nicht unerheblich dazu bei, die Krise zu verschärfen, welche die Wikingerzüge für die christlichen Reiche bedeutete. Diejenigen aber, die nach Island gingen, wählten einen anderen Weg: Sie etablierten dort eine Gesellschaft, die der norwegischen vor Harald Schönhaar anscheinend im Wesentlichen entsprach. Das heißt: Um ihrer Entrechtung durch Königsgewalt zu entgehen, verlegten diejenigen, die Island besiedelten, ihre Gesellschaft an einen Ort, den die Königsgewalt (vorerst) nicht erreichen konnte. Dies ist für das Selbstverständnis der Isländer von zentraler Bedeutung. Als es während der Regierungszeit Olaf Tryggvasons in Norwegen (995 – 9. Sept. 1000, erschlagen) zwischen den Isländern und dem Dänenkönig Harald Blauzahn (940/50 - 985/6) zum Konflikt kam, geschah etwas für uns Hochinteressantes. Snorri:

"Nun gedachte der Dänenkönig mit der Heerschar nach Island zu fahren, um den Spott zu rächen, mit dem ihn die Isländer überhäuft hatten: Gesetz auf Island (i.e. Beschluss des Allthings, Anm. d. Verf.) war nämlich, jedermann solle einen Spottvers auf Harald machen. Der Grund war: Ein Isländerschiff war in Dänemark gestrandet, und die Dänen hatten auf Weisung des königlichen Vogts Birger die Ladung als Strandgut an sich genommen… Da ließ Harald einen Zauberer nach Island fahren, und der tat's - sagt man - in Gestalt eines Wals, um zu sehen, was es von dort zu berichten gab. Vor Island angelangt, fuhr er westwärts ums Nordland herum, sah, wie Berge und Hügel voller Trolle waren, und als er zur Waffenförde im Nordosten gelangte, fuhr er in diese Bucht hinein, um an Land zu gehen: Doch da schoss ein Riesendrache talwärts, gefolgt von Schlangen, Kröten und Echsen, die ihn mit Gift bespien. Da floh er und gelangte zur Inselförde, und da flog ihm ein Vogel entgegen, so groß, dass die Schwingen beidseitig die Berge berührten, dazu massenweise andere Vögel, große und kleine. Von da ging's nach Westen, dann die Küste herum südwärts in die breite Förde, und da stürzte ihm ein Riesenbulle entgegen, watete ins Wasser hinaus und brüllte fürchterlich; und eine Menge Trolle lief hinterher. Ums Rauchkap südwärts gefahren, wollte er bei Vikarsskeid landen. Doch da kam noch ein Bergriese, ein Jöte, auf ihn zu, trug einen Eisenstock, und er war noch einen Kopf größer als die Felsen, und viele andere Jöten rannten hinterdrein… Damals wohnte Brodd-Helgi in der Waffenförde, Éyolf Valgerdsson im Inselfjord, Thord Gellir im breiten Fjord und Thord Goddi in Ölvus. Nun, danach wandte sich der Dänenkönig mit seinem Heer gleich südwärts, fuhr wieder nach Dänemark."(16)

Diese Anekdote - Snorris Werk ist keine Märchensammlung, sondern Geschichtsschreibung - ist in mancherlei Hinsicht bemerkenswert. Trotz des skeptischen Tons ("man sagt") lässt der isländische Christ Snorri die "übernatürlichen" Beschützer Islands den Zugriffsversuch des christlichen Königs Harald Blauzahn abwehren. Die Nennung der prominenten Isländer am Schluss der Passage (sie sind Protagonisten von Isländersagas und anscheinend im Kern historische Personen) ist bedeutsam: Die Wesen, die jeweils König Haralds Agenten entgegen treten, sind nämlich mit diesen verbunden.(17) Politisch betrachtet ist diese Episode eine Erzählung von der Abwehr eines Zugriffs einer äußeren Macht, von der Verteidigung isländischer Unabhängigkeit - durch unzweifelhaft heidnische Mächte, berichtet von einem Christen.

Für unser Thema zeichnet sich ab, dass das Vorhandensein der Alben (und der anderen "übernatürlichen Wesen") ein erhebliches Hemmnis für die königlich-klerikalen Strategeme darstellte. Denn genauso wenig lag den mehr oder weniger freiwillig zum Christentum Übergetretenen daran, die Alben gegen sich aufzubringen, wie den modernen Isländern daran liegt. Der Christ Snorri versucht daher im 13. Jahrhundert, heidnische Mächte und deren Wirken in sein christliches Weltbild zu integrieren, statt sie zu verteufeln oder für nicht existent zu erklären. Snorri griff zu dem bemerkenswerten Mittel, das Heidentum zum und als Irrtum zu erklären, dem aufzusitzen vor Verkündung der christlichen Heilsbotschaft nicht schändlich gewesen war. Kurzerhand erklärte er die alten Götter zu Menschen, die mit - zweifelsohne teuflischen - Zauberkräften die Menschen über Generationen hinweg täuschten, auch noch lange nach ihrem Tod. Die "Trollkünste" aber, zu denen diese Menschen gegriffen hatten, sowie die Trolle selbst, die Alben und all die anderen "übernatürlichen Wesen", erscheinen bei Snorri als Bestandteile der Realität - und, wie wir gesehen haben, keineswegs immer in negativer Form wirkend. Für Snorri, der sich sein Leben lang darum bemühte, königlich-norwegische Zugriffe auf Island abzuwehren, und allem Anschein nach deswegen schließlich ermordet wurde, kann die Abwehr des Dänenkönigs kein "Akt des Bösen" gewesen sein. So hielten sich heidnische Elemente hartnäckig selbst in der Welt der christlichen Gebildeten. Zumindest in Teilen Skandinaviens und auf Island, muss man hinzusetzen - denn auf dem Kontinent hatten die totalen Siege Karls des Großen die totale Durchsetzung der Entrechtung der Landbevölkerung und die kompromisslose Vernichtungskampagne gegen das Heidentum nach sich gezogen. Als sich das karolingische Ausrottungsprojekt als undurchführbar erwies, griff man dort zu dem Mittel, die heidnischen Mächte als illusionär, als Sinnestäuschung zu definieren. Gegen die, welche ihnen erlagen, ging man mit Ermahnung, Belehrung und Bußübungen vor. Mit anderen Worten: Man wechselte die Strategie – das Ziel, die heidnischen Mächte aus der Existenz zu drängen, änderte sich nicht. Inhaltlich sind diese beiden Strategien nicht miteinander zu vereinbaren. Kein Regime kann es sich leisten, Menschen, die es selbst als Verwirrte und Irregeleitete einstuft, systematisch zu töten. Diese Einstufung wird vorgenommen, wenn nicht die Menschen, sondern ihre "Irrtümer" vernichtet werden sollen – es handelt sich um eine Assimilationspolitik. Systematisches Töten setzt die Einstufung der Betroffenen als gefährliche Feinde voraus (die im Dritten Reich ermordeten Psychatrieinsassen galten nicht als "Verwirrte", sondern als biologische Gefahr für den "Volkskörper"). Die Vernichtungspolitik setzt die Konstruktion eines solchen Feindes voraus, der hinreichend gefährlich (und mithin im Regelfall auch seiner Sinne mächtig) sein muss, dies allerdings ganz ungeachtet tatsächlicher Gefährlichkeit oder Harmlosigkeit. Zu verfolgende Heiden können aber nicht gleichzeitig gefährliche Feinde und harmlose Verwirrte sein. Man kann lediglich zwischen verschiedenen Arten von Heiden unterscheiden – also entsprechend kategorisieren - wenn man beides gleichzeitig tun will. Die Hexenverfolgung zeigt eine solche differenzierende Praktik - wir werden darauf noch zu sprechen kommen.

Wir können insgesamt drei verschiedene christliche Strategien im Kampf um die Wirklichkeit und gegen die heidnischen Mächte identifizieren: das Vernichtungsprojekt, physische Vernichtung der Praktiker; die Integration, Instrumentalisierung der heidnischen Mächte als untergeordnete Akteure in einem christlichen Kosmos;(18) die Illusionsthese, Ausgrenzung der Praktiker als Verwirrte und "Irre".

Selbstverständlich war die alte heidnische "Religiosität" ein Aspekt der politischen und sozialen Realität der jeweiligen Gesellschaften und kein abgetrennter Bereich mit Namen "Religion". Vielmehr muss man davon ausgehen, dass dieser "religiöse Aspekt" das ganze Leben der Einzelnen und ihrer Gemeinschaften durchzog – schon allein darum, weil die Weltsicht die Konzepte der Ethik lieferte, also die Grundlage eigener Entscheidungen sowie die Kriterien zur Beurteilung der Handlungen anderer. In diesem Rahmen waren die Alben noch harmonisch eingebunden, ihr Kult war ein Bestandteil auch der gesellschaftlichen Praxis und wirkte dadurch stabilisierend auf das soziale Gefüge. Durch die Christianisierung wurden sie zum Problem. Ihrem Beharrungsvermögen tat das aber anscheinend keinen Abbruch. Man kann sogar begründet vermuten, dass der - trotz allem - fortgesetzte Albenkult auch nach dem Sieg des Christentums lokal identitätsstiftend war und gerade darum nicht verschwand. Schließlich tat man gemeinsam etwas, von dem man wusste, dass es richtig und notwendig war, wovon aber Priester und Grundherr nichts wissen durften.

Andererseits sollte man Priester und Grundherren des Mittelalters und der beginnenden Frühen Neuzeit nicht für hoffnungslos naiv halten. Wahrscheinlich wussten sie bescheid, aber der "Aberglaube" der Bauern scherte sie nicht. Ein ernsthaftes Interesse, das immer neugieriger und immer bohrender, immer detailversessener wird und das sich auf das Leben und Denken der einfachen Leute richtet, ist - wir greifen vor - ein Charakteristikum der Moderne.

Gehen wir davon aus, dass der Kult der Alben bis zur Heraufkunft dieser neuen Zeiten in ganz Nord- und Mitteleuropa(19) in der oben skizzierten Weise fortgesetzt wurde - als ländliche Praktik, als Praktik einfacher Leute, ignoriert und verspottet von den oberen Gesellschaftsschichten, hin und wieder Gezeter hervorrufend, aber ansonsten ungestört und letztlich unbeachtet. Dies war anscheinend der Stand der Dinge, als im späten Mittelalter die Hexenverfolgung begann. Da sich aufgrund des großen Eindrucks, den die Hexenverfolgung auf die Nachwelt machte (der aber weder dem Thema noch dem Schrecken dieser Vorgänge gerecht wird), dieser sich mit unserer Thematik zu verwickeln droht, lohnt es sich, die Hexenverfolgung kurz zu thematisieren und in Relation mit unserem Thema zu setzen.

Die Nova Secta der Herren Sprenger und Institoris, der Verfasser des Hexenhammers, ist kein heidnischer Kult und auch kein Relikt eines solchen, sondern dient unmittelbar dem Teufel. Wenn also Praktiker - zumal Praktikerinnen - des Albenkultes dem frühneuzeitlichen Hexenpogrom zum Opfer gefallen sind, dann gewissermaßen aus den falschen Gründen. Systematisch verfolgt wurden sie nicht - zumindest nicht von den Hexenbrennern und mit dem Ziel der Tötung.

Aber warum war es zu diesem erneuten Strategiewechsel gekommen, und warum richtete sich die Wucht des kirchlichen Angriffs nicht gegen die Alben und diejenigen, die immer noch mit ihnen verkehrten?
"... die christliche Kultur hatte damit begonnen, eine neue Form von Ordnung aufzubauen... Der erste Schritt bestand gewissermaßen in der "Dämonisierung des Dämonischen". Menschen konnten keine Strigen sein, und Menschen konnten auch nicht an den nächtlichen Fahrten der Diana teilnehmen. (die Illusionsthese, Anm. d. Verf.) Man versuchte also, die hagazussa vom Zaun zu verscheuchen, sie von der Grenze der Kultur in die Wildnis, von der Dämmerung in die Nacht zu jagen. (...) Der zweite Schritt wurde notwendig, als man fühlte, dass solche Dämonen mit solch leichter Hand nicht zu entmachten waren, dass sie vielmehr tiefliegenden Bedürfnissen der Menschen entsprachen, die sich nicht so einfach auflösen und durch etwas anderes ersetzen ließen. (...) Die Heilige Jungfrau etwa, Sinnbild dafür, dass die Frau nur als unberührtes Mädchen und als Mutter, beidesmal züchtig und asexuell, Geltung beanspruchen darf, konnte gerade noch als Substitut für die etwas zickig gewordene Schwester des Apollo hingenommen werden. Doch als Ersatz für die nicht gerade zugeknöpfte Diana der Epheser, um nur ein Beispiel zu nennen, konnte das kaum angehen. (...) Die Dämonen nun, die man in die Wildnis, weitab von den Menschen, getrieben hatte, kehrten in veränderter Gestalt und auf weitaus bedrohlichere Weise zurück. Sie begnügten sich nicht länger damit, auf dem Zaun zu hocken, sondern schlichen nachts die Kellertreppe hinauf und schlugen an die Türen. Jetzt drohte die Hexe nicht mehr von außen, sie erwachte im Inneren.

... Zunächst gab es noch gewisse ideologische Schwierigkeiten, diese Tatsache öffentlich anzuerkennen, hatte man doch ausdrücklich betont, dass die Menschen am Treiben der Dämonen nicht teilnehmen konnten. Doch in diesen Texten war nur die Rede von den "nachtfahrenden Weibern" und ihren Anführerinnen wie Diana und Herodias. Und diese waren ganz verschieden von jenen Wesen, die seit Beginn des 15. Jahrhunderts "von innen her" die Welt beunruhigten, die in den Dörfern und Städten, den Ställen und Kellern ihr Unwesen trieben. (...) In der Vorlage des Canon Episcopi, dem Texte Reginos von Prüm, stand kein Wort von der blutdürstigen Striga, und aus diesem Grund durfte man jetzt auch offiziell versichern, dass es Menschen gab, und noch dazu in beträchtlicher Anzahl, die in der Mitte des Tages wie in der Mitte der Nacht vom bösen Feind oder auf Böcken und Besen durch die Lüfte zu perversen Buhlschaften entführt, ihren Mitmenschen nach Leib und Seele trachteten. Solche Menschen sündigten nicht nur wider die Natur, sie waren gleichzeitig und im Gegensatz zu den vergleichsweise harmlosen Nachtfahrenden maleficae, und deshalb mussten sie ungleich härter bestraft werden. Ihnen boten die alten Verordnungen keinen Schutz... Hatte also der erste, nicht ganz erfolglose Schritt im frühen Mittelalter darin bestanden, das Heidnische aus der Kultur hinauszuwerfen, so entwickelte sich jetzt angesichts des Aufflackern eines "neuen Heidentums" in der Gestalt von Ketzern, Hexen und anderen Hoffärtigen notgedrungen die Strategie, den bösen Feind im Zentrum der Kultur zu stellen und ihn dort vernichtend zu schlagen. Hatte der Teufel auch das "Innere", die Seele, in seinen Besitz gebracht, dann musste sein neuer Wohnsitz, der Leib, abgetötet und verbrannt werden, um ihm die Basis zu rauben."(20)

Zu denen, die von den alten Verordnungen geschützt wurden (welche auf der Strategie der "Illusionsthese" beruhten), gehörten jene, die nach wie vor mit den Alben verkehrten. Sie existierten also quasi im "Reservat der Harmlosen" - auch insofern, als sie räumlich wie sozial an der Peripherie des frühneuzeitlichen Europa lebten, und nicht dort, wo wegen sich anbahnenden sozialen und kulturellen Veränderungen der "Hexenhammer" herniederfahren musste - welcher der Vernichtungsstrategie zuzuordnen ist, die gegen die "neuen Hexen" wieder angewandt wurde, bis in die Neuzeit hinein. In dem Bestreben, sich die große Verlegenheit zu ersparen, die alten Texte und Praktiken, die auf der Illusionsthese beruhten, zu widerrufen und urplötzlich gegen diese zu behaupten, das Treiben der Nachtfahrenden sei doch keine Illusion gewesen, postulierte die Kirche die Nova Secta, die ausdrücklich neue Teufelsverschwörung.

Das 19. Jahrhundert sprach - zumal im Kirchenkampf - vom "Hexenwahn", ähnlich wie heute vom "Rassenwahn" des Dritten Reiches die Rede ist. Und diese Rede vom Wahn vernebelt stets politische Strategien - was auch der Zweck dieser Rede ist. Die für die Hexenverfolgung erforderliche Theoriebildung, deren wichtigstes Dokument der "Hexenhammer" ist, kann nicht als wirres Geschwätz von Fanatikern abgetan werden. Die Konstituierung der Nova Secta seitens ihrer Verfolger (eine Strategie im Kampf um die Wirklichkeit) stellt die Wiederaufnahme der einst verworfenen Vernichtungsstrategie dar, die sich jetzt aber gegen eine ausdrücklich neue Bedrohung richtete.

Das frühneuzeitliche Pogrom traf die Alben also nicht direkt, stattdessen geschah etwas anderes mit ihnen. Ihre Bewegung immer weiter weg vom Zentrum der Kultur ließ sie quasi perspektivisch schrumpfen - eine Entwicklung, die man auf den britischen Inseln sehr gut verfolgen kann. Es ist die Entwicklung von den gewaltigen Königen der sidhe zu Puck dem Elfen.

Es waren also nicht die Inquisitoren, welche die Alben aus Europa vertrieben. Stattdessen setzte später ein vollkommen anderer Verfolgungsprozess ein. Wir haben insgesamt drei christliche Strategien gegen das Heidentum herausarbeiten und aufzeigen können, welche Auswirkungen sie jeweils in welchem Kontext auf die Alben und ihre Anhänger hatten. Ihr "perspektivisches Schrumpfen" verdankt sich nicht einem kontinuierlichen Vorgang, sondern einer Mehrzahl von angewendeten Strategien, die freilich nicht hauptsächlich gegen die Alben gerichtet waren. Am Anfang dieser Entwicklung taucht das Christentum selbst als wichtiger Bestandteil politischer Strategien auf, als unentbehrliches Instrument der dauerhaften Unterwerfung, wie einerseits die Erfolge Karls des Großen und der christlichen Norwegerkönige zeigen, andererseits aber durch das Scheitern Harald Schönhaars deutlich wird, der meinte, auf dieses strategische Element verzichten zu können. Innerhalb des Christentums, das sei hier angemerkt, setzte sich diejenige Richtung durch, die unter Federführung Konstantins entstanden war - das Christentum der Imperatoren, dem die gegenüber Heiden toleranten Arianer, die koptisch-pelagianische irische Kirche und andere weichen mussten. Dass es auch in christlichen Kreisen andere Vorstellungen vom Umgang mit den heidnischen Mächten gab, zeigt die Integrationsstrategie, die wir exemplarisch bei Snorri Sturluson gesehen haben. Der bislang letzte Versuch, zumindest in der Literatur eine derartige Integration zu vollziehen, ist der "Herr der Ringe" von J.R.R. Tolkien. Dieser schöpfte nicht nur mit vollen Händen aus dem Inventar der Quellen, das er als einer der namhaftesten Sprachwissenschaftler Europas außerordentlich gut kannte, sondern integrierte heidnische Figuren harmonisch in einem von christlichen Vorstellungen geprägten, erfundenen Kosmos. Es ist wenig beachtet worden, dass Tolkien damit zumindest literarisch sowohl der Verteufelung alles Heidnischen als auch der pseudo-germanischen Ideologie des Dritten Reiches entgegentrat, dessen Zeitgenosse er war. Tolkiens "Elben" (elves) sind selbst ein Produkt dieser Integration.

Abschließend bleibt zu bemerken, dass in unserer Zeit eine der drei christlichen Strategien gegen das Heidentum immer noch angewandt wird, nämlich die Illusionsthese, auch wenn heute christliche Kirchen nicht mehr deren Hauptträger sind. Aber der Kampf der Moderne gegen die heidnischen Mächte unterscheidet sich grundlegend von den vormodernen Kämpfen. Dieser Thematik müssen wir uns jetzt zuwenden.

Fußnoten
(10) Jäschke, Kurt-Ulrich, Die Anglo-Normannen. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1981, S. 16
(11) ebd., S.18
(12) Snorri Sturluson, Heimskringla. Sagen der nordischen Könige. Wiesbaden2006, S. 291
(13) Jeschke, Anglo-Normannen, S. 14
(14) Heimskringla, S. 61
(15) Heimskringla, S. 70 f.
(16) Heimskringla, S. 153 f.
(17) Eine Besprechung dieser Wesen sowie der Art ihrer Beziehung zu den jeweiligen Männern würde einen eigenen Artikel erfordern und muss daher – leider – unterbleiben.
(18) Diese Integrationspraktik ist auch typisch für das Auftreten heidnischer Mächte in den Isländersagas: Ob sie wollen oder nicht, immer tragen sie zum göttlichen Heilsplan bei. Die Autoren – freilich gebildete Christen – gingen dabei sehr subtil und behutsam vor. Gisli Súrsson, beraten von prophetischen "Traumfrauen", wendet sich auf deren Anraten hin
(!) von der heidnischen Opferpraxis ab, heidnische Seher verheißen das Kommen des Christentums als freudiges Ereignis und so fort.
(19) Selbstverständlich verwendeten zB irische, schottische und bretonische Praktiker den Begriff "Alben" nicht. Eine Diskussion, ob zB die sidhe als Alben anzusehen sind oder nicht, will ich hier nicht führen.
(20) Duerr, Hans Peter: Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation. Frankfurt am Main 1985, S. 84 ff.


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