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Hans Schumacher Kulte Rez
28.04.2017, 09:55

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Bellmund/Siniveer: Kulte, Führer, Lichtgestalten - Esoterik als Mittel rechtsradikaler Propaganda

eine erweiterte Rezension

von Hans Schumacher, im Namen und Auftrag des Rabenclan - Arbeitskreis für Heiden in Deutschland e.V.
- Alle Rechte beim Autor -

Voraus

Als ernstzunehmende und sich an weite Teile der Öffentlichkeit wendende Publikation, deren Thematik zu erheblichen Teilen mit der des Ariosophieprojekts zusammenfällt, soll "Kulte, Führer, Lichtgestalten" hier besprochen werden. Das Erscheinungsdatum des Buchs fällt mit dem Roeder-Skandal bei der Bundeswehr zusammen, sodaß mit einer weiteren Steigerung des öffentlichen Interesses an der hier behandelten Thematik zu rechnen ist, die voraussichtliche Wirkung des Buches kann also für das Ariosophieprojekt nicht gleichgültig sein. Wegen dieses besonderen Interesses werden die formalen Grenzen, die einer Rezension gesetzt sind, hier gelegentlich überschritten werden.

1. Allgemeine Besprechung

1.1. Gliederung und Aufbau

"Kulte, Führer, Lichtgestalten" ist in vier Hauptteile (I -IV) untergliedert, wobei unter I. ("Was ist "rechts" an der Esoterik") drei getrennte Komplexe einzeln in allgemeiner Weise thematisiert werden, nämlich Esoterik, Ökologie und "Germanenglaube". Unter II. - IV. finden sich zahlreiche Einzelbeispiele für Organisationen, Ideologien - dies teilweise mit deren Geschichte - und Personalia, die das große Spektrum rechtsextremer Umtriebe in diesem Bereich allein durch ihre Mannigfaltigkeit gut illustrieren. Daß einige Namen wieder und wieder auftauchen - Manfred Roeder, Sigrun Freifrau von Schlichting, Jürgen Rieger, um nur die wichtigsten zu nennen - wird beim Leser den Eindruck erwecken, daß einige wenige Individuen enorm weitreichenden Einfluß in einem sehr großen und verzweigten Spektrum haben, was den Tatsachen ja durchaus entspricht.

Allerdings sind die Teile II.- IV. mitnichten so übersichtlich und sinvoll gegliedert wie Teil I. Abschnittsüberschriften wie "Im Angebot: Bücher, Märchen, Hexen" besagen wenig bis nichts und sind bei der Orientierung sowie dem Wiederfinden erinnerter Passagen wenig hilfreich, was auch allgemein für die Kapitelüberschriften gilt. Die thematische Anordnung erscheint willkürlich und diffus, so finden sich "Die Wicca - neuheidnische Hexen" zusammen mit "Der Führer kommt im Ufo: die Glaubenswelt der Hitleresoteriker" gemeinsam unter III., während "Druiden, Hexen und Armanen" gemeinsam mit den "arischen" Linsenesssern von Bringhausen unter IV. anzutreffen sind. Dies muß Neulinge auf diesem Territorium heillos verwirren und ruft den Eindruck hervor, man habe es mit einem chaotischen Brei von Kuriositäten zu tun und nicht etwa mit voneinander getrennten Komplexen, die aber inhaltlich, strukturell und personell vernetzt und verschachtelt sind, ein eindeutig bedeutsamer Unterschied. Es drängt sich der Verdacht auf, eben der Eindruck des chaotischen Breis sei beabsichtigt, was aber der Seriosität und dem aufklärerischen Wert der Arbeit sehr schadet. Es sei bereits hier gesagt, daß "Kulte, Führer, Lichtgestalten" hier wie an anderen Stellen nicht nur viel zu wenig Vorsorge gegen Verallgemeinerungen trifft, die nur den ariosophischen Kernorganisationen nützen, sondern geradezu dazu einlädt.

1.2. Allgemeine inhaltliche Besprechung

Da diese Rezension im Rahmen des Ariosophieprojektes stattfindet, befaßt sie sich schwerpunktmäßig mit den entsprechend besonders relevanten Teilen des Buches. Hier soll eine Reihe von Einzelpunkten kurz besprochen sowie eine Reihe genereller Charakteristika von "Kulte, Führer, Lichtgestalten" herausgearbeitet werden.

Unter dem Thema "Esoterik" werden elitäres Selbstbewußtsein der Esoteriker, ihre ihren Lehren entsprechende Abkehr von der Politik, Guru - Führerkult und in besonders erfreulicher Schärfe die Karma-Lehre kritisiert, deren inhärente Befürwortung und Unterstützung von autoritären Systemen, die schließlich konsequenterweise zu Begrüßung und mithin zur Unterstützung von Völkermord führt. Im Folgenden wird ein hervorragendes Beispiel angeführt . Von vier Hauptcharakteristika der Esoterik, nämlich Rassismus, Führerkult, Karma-Lehre und dem Glauben an geheime, kosmische Gesetze wird konsequent und korrekt zur Besprechung der Theosophie und Ariosophie übergeleitet, die uns hier besonders interessiert und daher einzeln behandelt werden soll. Daß diese thematische Überleitung unter der Kapitelüberschrift "Esoterik: eine spirituelle Grundlage des Nationalsozialismus" stattfindet und in diesem Zusammenhang auch Rudolf Steiner, der Gründer der Anthroposophie, nicht unerwähnt bleibt, ist ebenfalls korrekt und erfreulich. Überhaupt ist die Abhandlung der Esoterik unter I. einer der wertvollsten Bestandteile des Buches.

Wesentlich problematischer ist die Einführung in das Thema Ökologie: Rechtsextreme Unterwanderung bzw. Unterwanderungsversuche der Partei der GRÜNEN und der Ökologiebewegung überhaupt, insbesondere in die Bereiche Bioregionalismus und Tiefenökologie, werden dokumentiert und erläutert, dies geschieht aber in einer Art und Weise, daß lediglich ein tiefes Mißtrauen gegen den Ökologiebereich insgesamt zurückbleibt. Die angebliche Naturbezogenheit des Biologismus wird kritisiert, dessen offenbar darwinistisches Naturbild jedoch gar nicht erst diskutiert und die gesamte Problematik Natur-Kulturquasi mit dem Verweis auf den Rechtsextremismus der Biologisten abgehakt. Man überläßt es also den Rechtsextremisten, die Natur zu interpretieren. Überhaupt tritt hier folgende, nicht nur in "Kulte, Führer, Lichtgestalten" anzutreffende Denkweise auf: Themen und Inhalte, mit denen Rechtsextremisten sich befassen oder befaßt haben, werden mithin zu rechtsextremen Themen und Inhalten, was dann, wenn das Feld den Rechtsextremisten einmal überlassen worden ist, durch nochmalige Beobachtung bestätigt wird. Hier ist der Kommentar angebracht, daß diese Denk- und Handlungsweise ein schwerer theoretischer und strategischer Fehler ist. Anstatt hier z.B. die Arbeit des Faschismuskritikers Roman Schweidlenka auf dem Gebiet des Bioregionalismus zu würdigen oder doch zumindest zu diskutieren, wird er selbst andeutungsweise in die rechte Ecke gedrückt und die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis zitiert: "Die faschistische Auslegung des Bioregionalismus ist jedoch nicht unumstritten, zumal so bekannte Esoterikforscher wie Gugenberger und Schweidlenka den Bioregionalismus weit weg von deutscher "Volksdümmelei" ansiedeln, allerdings nicht bestreiten, daß Anregungen auch von rechts aufgenommen werden. Trotzdem sind die ideologischen Eckpfeiler des Bioregionalismus so dicht am Nationalsozialismus angelegt, daß man die Kritiker des Bioregionalismus nicht als "linke Spinner" bezeichnen kann. Auch für die Nazis waren Blut und Boden eine Einheit...".

Eine wie auch immer geartete Arbeit von Menschen in und mit ihrer Heimatregion, die keineswegs Fremdenfeindlichkeit und dergleichen zwangsläufig impliziert, wird also in oben beschriebener Weise sowohl von den Rechtsextremisten als auch von denen, die sie bekämpfen wollen, zu einer "rechten" Betätigung gemacht. Es ist jedoch der Rechtsextremismus, der keine Existenzberechtigung hat, nicht der Bioregionalismus oder die Tiefenökologie.

Eine eigentliche Diskussion von Ökologie und den hier angesprochenen Unterbereichen kann hier nicht stattfinden, auch soll die Gefahr, die von rechtsextremistischer Betätigung in diesem Bereich ausgeht, weder relativiert noch verharmlost werden. Hier ist jedoch die oben charakterisierte Denk- und Handlungsweise Thema, die sich in "Kulte, Führer, Lichtgestalten" immer wieder findet.

Trotz ihrer oben erörterten Anordnung sind die Fallbeispiele unter II. - IV. sehr informativ, hervorragend recherchiert, sachlich und mit reichlichen Belegen versehen und trotz ihrer Informationsfülle für den Leser einfach zu bewältigen. Man sieht hier m.E. die Profi-Journalisten Bellmund und Siniveer bei der Arbeit, welche sich bei konkreten Einzelfällen wesentlich souveräner betätigen als auf dem Feld der Theorie. Das Spektrum, dem die Fälle entnommen sind, ist enorm - es reicht vom "leidenschaftlichen Nationalsozialisten" Werner Georg Haverbeck, Mitglied der NSDAP seit 1926 bzw. 1929, sowie dessen damaligen und heutigen Aktivitäten bis zur Verbreitung der Theosophie durch den Schlagersänger Christian Anders sowie seine Präsentation im Esoterik-Organ connection, bei welcher sowohl Anders als auch das Magazin die rassistische Lehre der Theosophie verschwiegen. Eine Vorstellung sämtlicher Einzelkomplexe muß hier der Kürze halber unterbleiben.

Lediglich der Beitrag "Die Frauen und die "Neue Zeit" von Tanja Hartwig ist mehr ideologische Diskussion als Dokumentation. Die Positionen und deren Herleitung bleiben diffus, es wird argumentiert, ohne zuerst eine solide faktische Basis zu liefern. Dies wäre aber von Tanja Hartwig im Rahmen dieses Beitrags (insgesamt zwölf Seiten) nicht zu leisten gewesen. Eine weitergehende Besprechung des Beitrags muß hier entfallen, da der hier angesprochenen Thematik eine Vielzahl verwickelter Probleme innewohnt, die zuerst gesondert aufgearbeitet werden müßten.

1.3. Theosophie, Ariosophie und Heidenszene

Auf die Besprechung von Theosophie und Ariosophie unter der Überschrift "Esoterik: eine spirituelle Quelle des Nationalsozialismus" wurde oben bereits kurz eingegangen. Ausgehend von den Lehren der Mme. Blavatzky und diversen ihrer Schüler wird übergeleitet zur Ariosophie, welche hier völlig korrekt hauptsächlich durch List und Liebenfels repräsentiert wird. Inhaltlich entspricht die Darstellung durchaus der im Ariosophieprojekt vorgenommenen, ist aber an vielen Stellen ausführlicher und weist etliche interessante Originalzitate, besonders aus der Theosophie, auf. Besonders wertvoll sind Hinweise auf die theosophische Provenienz von Vorstellungen, Lehrsätzen und Termini, die mittlerweile zum Allgemeingut der Esoteriker geworden sind, so das Konzept der "Großen Weißen Bruderschaft, allgemein-esoterischer Varianten der Karma- und Wiedergeburtslehre sowie des Neuen Zeitalters. Erörtert wird ferner die für das Entstehen der Ariosophie unabdingbare Wurzelrassenlehre sowie der von Anfang an in den theosophischen Lehren verankerte Antisemitismus. Leider fehlt eine Erörterung der faktischen Unmöglichkeit einer globalen Urreligion: dieser Anspruch der Theosophie wird zwar erwähnt, der gesamte Komplex der Zusammenhänge zwischen Kulturen und Religionen, deren Negation auch und gerade aus der Theosophie kommt, ist für das Gesamtverständnis der Thematik der autoritär/rassistischen Spiritualität von zentraler Bedeutung. Das Fehlen dieses Punktes ist aber wohl primär auf den Rahmen der Arbeit zurückzuführen, die zweifellos ausgeufert wäre, hätte sie sich auf solche wissenschaftlich-theoretischen Gefilde begeben. Nichtsdestotrotz ist dieser Punkt ein wesentliches Kriterium zur Unterscheidung korrekter und inkorrekter Religions- und Mythologierezeption, fehlt er, bleibt aufgrund der durchaus korrekten Ausführungen ein eher undifferenziertes Mißtrauen gegenüber nichtmonotheistischer Spiritualität zurück. Dies gilt umso mehr, als nahezu alle bisherige neuzeitliche Theorie und Praxis in diesem Bereich jenseits der Forschung ganz im Sinne der Theosophie, also ohne Berücksichtigung kultureller Kontexte, verlaufen ist.

Bereits unter oben erwähnter Kapitelüberschrift werden der Armanenorden, die Thule-Gesellschaft sowie der Germanen-Orden erwähnt. Das Thema Ariosophie wird im Kapitel "Religion und Runen" im Abschnitt "Mitten im deutschen Volke: Germanenglaube" wieder aufgenommen. Dem Umgang mit dem Germanenthema soll im Rahmen dieser Besprechung ein eigener Punkt gewidmet werden, da er für die letztendliche Bewertung des Buchs von entscheidender Bedeutung ist.

Ein wenig befremdlich erscheint hier, daß Liebenfels´ Einfluß u.a. auf Hitler unter "Germanenglaube" behandelt wird, da sich die Liebenfels'sche Ariosophie, im Gegensatz zur List'schen, nicht so sehr auf Germanenphantasien stützt als vielmehr auf eine abenteuerliche Bibelexegese. Auch die hier vertretene These, die Nazi-Religiosität sei eine sehr wesentliche Ursache des Erfolges der NSDAP und des Dritten Reiches gewesen, erscheint ein wenig problematisch: inwieweit der spezifisch ariosophische Kult der NSDAP nach, geschweige denn vor 1933 von der Gesamtbevölkerung geteilt worden ist, wäre noch zu untersuchen. Daß die NSDAP Einheit von Politik und Religion anstrebte, ist unbestritten, aber wenn die Frage gestellt wird: "Doch wie stark waren solche Grundhaltungen bei der breiteren Bevölkerung (sic) im Dritten Reich verankert? War eine esoterisch-germanische und dazu religiöse Überhöhung des Deutschtums eine Basis für die Greuel in den K Zs? von Buchenwald und anderswo?", so entsteht bei aller Ernsthaftigkeit die Gefahr, diesen Faktor überzubewerten und andere, womöglich unliebsamere, dabei aus den Augen zu verlieren. Es besteht insonderheit die Gefahr, mit dem Verweis auf Rassenesoteriker das Kapital und die Kirchen aus der Verantwortung zu nehmen und schließlich in eine höchst gefährliche Monokausalität abzugleiten, höchst gefährlich darum, weil der Rechtsruck keineswegs nur im esoterisch-spirituellen Bereich stattfindet. Nun ist das Ariosophieprojekt gewiß nicht dazu da, die Gefahren in und aus diesem Bereich etwa zu verharmlosen, aber gerade das reale Vorhandensein von massiver Gefahr macht es notwendig, große Sorgfalt walten zu lassen.

Erfreulich ist, daß der Ariosoph Marby mitsamt einiger charakteristisch-ariosophischer Äußerungen hier auftaucht, denn, wie es dort ganz richtig heißt:"Für viele Runenaktivisten von heute ist Marby einer der Klassiker". Mit diesem wird zur Szenerie um den Armanenorden und zu diesem selbst übergeleitet, wobei allerdings meineserachtens Gerhard Heß wesentlich mehr Autorität und Einfluß zugeschrieben wird, als er tatsächlich hat: zwar sprechen seine rechtsextremen Verbalinjurien für sich, aber die religiös-rassistische "Wahrheit" wird in der Heidenszene immer noch von deren Führern gemacht, und Heß, so autoritär er sich auch geben mag, hat dort meines Wissens einen solchen Status nicht inne. Die Struktur dieser Szene bringt es mit sich, daß Macht und Autorität dort durch Angliederung an eben diese Strukturen erlangt wird. Ohne das placet der Etablierten kann auch ein Gerhard Heß keine Autorität sein, mag er publizieren wie er will.

Wir begegnen der Thematik wieder unter "Germanische Gemeinschaften", dies unter IV. "Von Vegetariern, Pädagogen und Germanen", wobei aufgrund der oben diskutierten problematischen Gliederung ein ständiges Hin- und Herblättern erforderlich ist. Erst hier wird Guido List besprochen, allerdings in höchst zufriedenstellender Weise, und in dem ihm gewidmeten Kapitel wird auch Gründung und Aufbau des Armanenordens beschrieben. Inhaltlich gehört dieser zwar sehr wohl dorthin, formal und organisatorisch wäre es aber angeraten gewesen, gerade die Informationen über den Armanenorden nicht zwischen Anfangs- und Schlußteil des Buches zu verstreuen. Das anschließende Kapitel "Die Hohepriesterin der Germanen" ist teils Sigrun Freifrau von Schlichting, teils allgemein dem Armanenorden und der ANSE gewidmet und deckt sich inhaltlich weitgehend mit der Darstellung in "Ariosophie - ein Überblick". Der gesamte Abschnitt präsentiert teils dort schon ausführlicher besprochene Organisationen, die Germanische Glaubensgemeinschaft und den Yggdrasil-Kreis , aber auch der Gruppe "Wotans Volk", die Gylfiliten, die "Artgemeinschaft" , den "Goden-Orden", die Unitarierund das Thule-Netz. Alle Gruppen sind kurz und prägnant beschrieben, charakteristische Zitate sind eingefügt, teils sind Fragmente von Originalpublikationen abgedruckt (herzig: Geza von Nemenyi als "Fernsehkritiker"). Bedauerlicherweise entsteht insgesamt der Eindruck eines Neben- und Durcheinanders, strukturelle Elemente wurden zu wenig berücksichtigt, was aber wohl erfordert hätte, der Heidenszene ein eigenes Buch zu widmen. Diese strukturellen Elemente sind jedoch höchst bedeutsam, wenn man die Mechanismen der Heidenszene wirklich verstehen will. Insgesamt fehlt die Erörterung der Machtmechanismen innerhalb dieses Konglomerats, ein Faktor, dem nicht ohne Grund im Ariosophieprojekt so viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Ohne Mobbing und Rufmord als Disziplinierungsmittel und Terrorinstrument könnten sich die "Führer" und "Lichtgestalten" der "Kulte" nicht halten, dies und die undifferenzierte Hexenjagd in der Öffentlichkeit tragen nicht unerheblich zum Erhalt dieser Gruppierungen bei.

In den Zusammenhang der Machtstrukturen gehört auch die Schilderung der Einschleusung des Peter Jansen beim Armanenorden, die, nebenbei gesagt, die Fragen nach dem Verhältnis des Yggdrasil-Kreises und insbesondere Volkert Volkmanns eben zum Armanenorden endgültig klären dürfte: wenn Jansen schon, wie er ehrlicherweise zugibt, die Angst ankam, als die Armanen mißtrauisch wurden, wie ergeht es wohl Individuen in der Heidenszene, die zu "Abweichlern" oder gar "Verrätern" deklariert werden?

1.4. Der Umgang mit dem Germanenthema

Zwar tauchen die Begriffe "Germanen" und "germanisch" in "Kulte, Führer, Lichtgestalten" extrem häufig auf, doch ist von den eigentlichen Germanen nur an einer Stelle die Rede: "Die eigentlichen Überlieferungen der germanischen Kultur sind eher spärlich. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus schreibt einige Sätze, aus denen man allerdings keine besonderen Aufschlüsse über die mögliche "Hochkultur" der Germanen gewinnen kann. Durch Tacitus weiß man wenigstens, daß die Germanen als Gemeinschaft existierten, daß sie mit halbnacktem Oberkörper in die Schlacht zogen und dabei irgendwelche Gesänge von sich gaben..." Es folgt noch ein wenig mehr, inhaltlich ebenso gehaltvoll, so erfahren wir, daß in der Edda "wenigstens irgendwelche Helden benannt" sind und daß sie, wie Kindlers Literaturlexikon belegt, eine eher willkürliche Sammlung ohne historische Qualitäten sei.

Das ist alles.

Die wenigen Sätze des Tacitus, hauptsächlich zu finden in "de origine et situ Germanorum liber", meist "Germania" genannt (auch in den Annalen macht er gelegentlich die eine oder andere Bemerkung über Germanen im Rahmen von Feldzugsberichten), sind nun nicht ganz alles, was wir an Schriftquellen über die Germanen haben: abgesehen von Caesars Germanenexkurs im Gallischen Krieg und einer Menge dort verstreuter Beschreibungen liegen uns noch Schriften einiger Autoren aus der Völkerwanderungszeit und dem frühen Mittelalter vor, so von Gregor von Tours, Jordanes, Paulus Diaconus, Ammianus Marcellinus und Prokop, um nur einige zu nennen, in denen zu weiten Teilen oder gar hauptsächlich von Germanen die Rede ist. Zu erwähnen wären dann noch die diversen Arbeitsergebnisse der Vorgeschichtsforschung und der Sprachwissenschaft, sodaß der Informationsstand der Germanenforschung denn doch ein wenig besser aussieht als in "Kulte, Führer, Lichtgestalten" beschrieben. Was Mythologie und Religion angeht, so ist auch diese von der Forschung bearbeitet worden.

Richtig ist, daß die Aussagen über Germanen, germanische Religiosität etc., welche man in der Heidenszene im Allgemeinen und bei ariosophischen Gruppen und Führern der Vergangenheit und Gegenwart im Besonderen vorfindet, nichts mit den historisch real existierenden Germanen zu tun haben. In derart polemischer und oberflächlicher Weise mit der Thematik zu verfahren, wie es die Autoren von "Kulte, Führer, Lichtgestalten" getan haben, ist nicht nur unangemessen, sondern ändert nichts an der Inanspruchnahme der Germanen durch die Ariosophen und ihre Anhänger. Gerade Berufung auf "Einweihungen" in "authentische" Riten etc. gehören zur stützenden Ideologie der Potentaten der Heidenszene. Anstatt zur Demontage dieses Anspruchs beizutragen und die hauptsächlich ariosophischen Phantastereien der Lächerlichkeit preiszugeben, was den Ariosophen enorm schadet, anstatt klarzumachen, daß sich eine autoritäre Bewegung insgesamt nicht legitimerweise auf Stammesgesellschaften berufen kann, was etliche Lackschäden an der Romantik des Faschismus hervorrufen würde, gebrauchen die Autoren die Begriffe "Germanen" und "germanisch" so, als seien diese Ansprüche legitim.

Nun kann schlechterdings von der Thematik Fremden nicht verlangt werden, daß sie sich erst in die Germanenforschung einarbeiten, bevor sie sich zum Thema rechtsextreme Esoterik äußern. Was aber verlangt werden kann, ist die Vermeidung des bereits oben beim Thema "Ökologie" beschriebenen Fehlers: wenn man Rechtsextremisten Felder überläßt, darf man sich nicht wundern, wenn sie sie nutzen. Die Tabuisierung des Germanenthemas hat den Rechtsextremisten nach dem zweiten Weltkrieg bereits enorm viel genutzt. "Kulte, Führer, Lichtgestalten" hilft dabei, den rechtsextremen Mythos des inhärenten Rechtsextremismus alles Germanischen zu zementieren.

2. Fazit

Trotz aller Kritik ist "Kulte, Führer, Lichtgestalten" ein sehr wertvolles Buch, das voraussichtlich einige Turbulenzen verursachen wird. Es ist an ein breites Publikum gerichtet und wird es wegen seiner Brisanz auch erreichen. Besonders positiv zu bewerten ist die für eine solche Publikation enorme Informationsfülle, die das Buch gerade für Einsteiger in diese Thematik zum wertvollen Nachschlagewerk macht. Auch muß davon ausgegangen werden, daß weiten Teilen der Öffentlichkeit die hier beschriebenen Gefahren und Gefahrenquellen nicht einmal ansatzweise bekannt sind, und hieran kann das Buch etwas ändern. Eine Steigerung des öffentlichen Interesses ist in jedem Falle positiv.

Die Lektüre sei den Interessenten des Ariosophieprojekts dringend empfohlen, da einiges Faktenmaterial künftig zitiert werden wird.

Der Gesamtwirkung des Buches muß mit gemischten Gefühlen entgegengesehen werden, wenn auch der Optimismus überwiegt. Daß der Esoterik und dem New Age der Heiligenschein heruntergerissen wird, war schon lange fällig, und daß der Öffentlichkeit die Namen Roeder, Rieger, Schleipfer, Schönlaub, Schlichting und so fort bekannt werden, ist dringend notwendig. Es sei mir gestattet, hier die Bemerkung einzuflechten, daß ich es gründlich satt hatte und habe, verständnislose Gesichter zu sehen, wenn ich beispielsweise vom Armanenorden sprach bzw. spreche. "Kulte, Führer, Lichtgestalten" schafft eine Diskussionsgrundlage.

Andererseits lädt das Buch zu Verallgemeinerungen ein, obwohl ich den Autoren durchaus glaube, daß sie dies vermeiden wollten. Da hinlänglich bekannt ist, mit welchen Aktionen seitens aufgebrachter Gut- und Christenmenschen zu rechnen ist (von den passionierten Hobby-Inquisitoren abgesehen, die sich heutzutage gern in Antifa-Gruppen betätigen), die auf Gefahrenquellen dort aufmerksam gemacht werden, wo sie "schon immer" wußten, daß sie dort zu finden seien, ist auch mit negativen Auswirkungen zu rechnen. Hier hätte mehr Vorsorge getroffen werden müssen.

Vor allem tut das Buch zu wenig, um das undifferenzierte Mißtrauen gegen Religiosität jenseits der Kirchen abzubauen, es wird durch "Kulte, Führer, Lichtgestalten" eher gesteigert und kann sich, fußend auf jahrhundertelanger Diffamierung, zur kollektiven Paranoia auswachsen. An dem Umstand, daß von berechtigter Angst gepackte Naturreligiöse nach schützender Gemeinschaft suchen und zuerst auf die ausgestreckten Hände der Ariosophen treffen, ändert das Buch nur insofern etwas, als es die Betroffenen hoffentlich gelesen haben.

Die implizite Aufforderung "dann werdet gefälligst Christen oder Materialisten" steht immer noch im Raum und wird auch durch "Kulte, Führer, Lichtgestalten" nicht abgeschwächt. Echte Naturreligiosität steht in Deutschland immer noch am Anfang.

Hans Schuhmacher

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