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Hagebutte Psychologen
28.04.2017, 09:55

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"Gehören Psychologen hinter oder auf den Opferaltar?"

White man got no dreaming
Him go 'nother way
White man him go different
Him got road bilong himself
(Australischer Ureinwohner nach H.P. Duerr)

Kurzzusammenfassung speziell für Hellblazer: Heiden sollten sich mit der Institution der Psychologie besonders auseinandersetzten, denn Psychologie und Heidentum stehen sich frontal gegenüber.

Kennst Du das? Du stehst morgens auf, schaltest schlaftrunken das Radio an. Irgendetwas schlimmes ist wieder irgendwo passiert. Ein Krieg, ein Attentat, eine Concorde ist abgestürzt und sonstiges. Man greift zum Kaffee und beschließt den neuen Tag zu beginnen. Die Dusche geht an, das Müsli wird gelöffelt. Ach da war noch was.... Richtig das Flugzeug, das verunglückte. Die Weather Girls beenden gerade ihr "It's raining men, Hallelujah" als der Moderator einen Interviewpartner zum Absturz vorstellt. Ein Psychologe. Er wird nach seiner Einschätzung befragt: die Folgen des Unglücks, die Opfer, der Schock, die Helfer usw.

Und dann? Ja dann: Dann folgt ein Gesabbel, das einem schon nach wenigen Sätzen das Schmalz in den Ohren gefrieren läßt. Man kennt diese "Expertensätze": belanglose Allgemeinheiten über die Opfer werden losgelassen, über menschliche Gefühle räsoniert, "es braucht Zeit, bis so etwas verarbeitet ist", "auch die Trauerarbeit darf nicht fehlen" usw. Nicht daß das Gesabbel falsch wäre, es ist banal, es ist voll von menschlichen Allgemeinplätzen. Allgemeinplätze, die jeder und jede von sich geben kann, der ein bißchen Erfahrung, ein bißchen Menschenkenntnis und ein bißchen Einfühlungsvermögen hat.

Aber das Radio braucht Experten, am besten mit Professoren-Titel. Besonders gerne werden Psychoanalytiker genommen, die sprechen immer so abgeklärt von "tiefen inneren Konflikten". Das Statement der Omi von nebenan, die einfach sagt: "Naja, das dauert, bis man über sowas hinwegkommt", das wäre dann doch zu platt, da muß schon der Spezialist her - der psychologische Spezialist. Auch wenn er salbungsvoller das ins Mikro stammelt, was ohnehin jeder weiß.

Wir machen den Psychologen diese banalen, aber salbungsvollen Statements nicht wirklich zum Vorwurf - im Gegenteil - wir erwarten gar nichts anderes. Wir glauben, daß eigentlich der Wahrheitskern psychologischer Theorien tatsächlich ebenso trivial ist, versteckt hinter einer obskuren, "wissenschaftlichen" Sprache. Er beinhaltet das, was sich eben für Hinz und Kunzine in menschlichen Alltagswahrheiten und Alltagswissen ausdrückt. Psychologie ist nicht die moderne Antwort der Humanwissenschaften auf Menschenkenntnis und soziales Know-How. Unserer Meinung nach ist Psychologie nichts weiter als die mit Bildungswörtern aufgeblasene Formulierung von menschlichem Alltagswissen, die eigentliche jederfrau (und mehr oder weniger auch "jedermann") ohnehin bekannt ist. Psychologie ist aufgemotzte Menschenkenntnis. Klingt etwas krude? Soll es auch.

Der gesunde Menschenverstand oder: Menschenkenntnis

Selbstverständlich gibt es Unterschiede darin, wie erfahren und treffsicher ein Mensch in der Ausübung der Fertigkeit "Menschenkenntnis" ist. Was ist "Menschenkenntnis"? Etwas vereinfacht gesagt bedeutet sie das korrekte Zuschreiben von persönlichen Eigenschaften auf Personen: "der ist feinfühlig", "die ist eitel" "paß auf, dein Chef ist hinterhältig" usw. Und sie beinhaltet daraus resultierend die Fähigkeit zu plausiblen Prognosen, wie sich Menschen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unter bestimmten Umständen verhalten: "ich garantier Dir, die wird zuhauen, wenn du sie auf der Straße dumm anmachst", oder "der wird lange brauchen, bis er es verwunden hat, daß Du ihn Saftsack genannt hast".

Gewöhnlich (aber nicht immer) steigt mit fortschreitendem Alter und fortschreitender Erfahrung die Fähigkeit eines Menschen, solche Zuschreibungen zu machen. Menschenkenntnis ist also ein alltägliches Phänomen. Aber oft kennt man bestimmte Menschen, die besonders gut bei der Ausübung dieser Fertigkeit sind, sei es weil sie ein großes Einfühlungsvermögen besitzen, weil sie viel "Lebenserfahrung" aufweisen oder weil sie in irgendeiner Form Informationen zur Verfügung haben, die andere nicht nutzen können. Das teilt Menschenkenntnis mit allen anderen Fertigkeiten, bei denen es ebenfalls immer Zeitgenossen gibt, die sie geschickter ausführen können als andere.

Astrologie:
Ein Deutungssystem menschlicher Themen, das nicht in
"seelisch beschädigt" oder "gesund" unterscheidet

Irgendwie gebietet uns schon der gesunde Menschenverstand anzunehmen, daß es Menschenkenntnis schon immer gab: Sie ist eine der ältesten Fertigkeiten, die die Menschheit kennt, quer durch alle Kulturen, quer durch alle Zeit. Das gleiche gilt für eine andere, verwandte Fähigkeit, nämliche dem Vermögen, Schwierigkeiten von Menschen im Bereich der Gefühle erkennen zu können und diesen Menschen einfühlsam dabei zu helfen. Diese Fertigkeit (Psychologen würden jetzt natürlich von der "therapeutischen Fertigkeit" sprechen) ist das aktive Pendant zur eher "kognitiven Fertigkeit" der Menschenkenntnis, die man eher als passiv beobachtend beschreiben kann. Diese aktive Fertigkeit ist in menschlichen Gemeinschaften immer dann von Nöten, wenn Handlungsbedarf besteht: "Was tun, wenn meinem Großvater die Geliebte abhaut und er nicht darüber wegkommt?"

Die weißen Kittel kommen

Zu allen Zeiten hatten Menschen mit menschlichen Schwierigkeiten wie Schock, Eifersucht, unerwiderte Liebe etc. zu tun. Irgendwo ist immer eine Frau weggelaufen, ein Mensch gestorben, ein anderer gedemütigt worden. Vermutlich hat es immer und zu allen Zeiten in sozialen Gemeinschaften ein breitgestreutes Know-How gegeben, wie mit solchen Problemen umgegangen wird: ein allgegenwärtiges, praktisches Wissen, wie man mit Menschen umgeht, deren Omi gemeuchelt wurde oder deren Schoßhund nicht mehr fressen will. Doch nur eine Kultur hat es fertig gebracht, daraus ein exklusives Expertenwesen zu kreieren, das weißgewandete "Profis" erzeugte, die angeblich mehr über diese Dinge wissen als das gemeine Volk. Richtig, das war unsere Kultur.

Vor 250 Jahren fand die Geburt der Psychologie statt. Nein sie fing nicht mit Freud an, auch wenn das gerne viele psychanalytisch verstörte Interlektuelle so hätten, sie kam schon weit früher in Mode. Wissenschaftshistorisch betrachtet wurde etwa 1750 diese merkwürdige Disziplin in die Welt gerufen. Salopp gesprochen wurde mit der Psychologie ein Trend fortgesetzt, der im Heilwesen schon etwas früher begann. So wie der Stand der Ärzte entstand, der sich umfangreiche Lehrstätten schuf, seine Stützpunkte in immer kleinere Städte und Dörfer verzweigte und gemäß einer derzeit populären Theorie das Hebammenwissen und das Wissen der weisen Frauen ablöste, so wurde auch die psychologische Disziplin immer einflußreicher. So wie die Volksmedizin als gemeingefährlicher Aberglaube zurückgedrängt wurde, so wurde auch im zwischenmenschlichen Bereich gefordert: "Jetzt laßt doch mal die Profis dran - die Profis mit den weißen Kittel." Und so wie die Menschen bei den Ärzten immer mehr daran glaubten, daß deren Wissen wichtiger sei als die eigenen, überlieferten Praktiken der Gesundheitspflege (und infolge dessen auch so manches volkstümliches Heilwissen verloren ging), so glaubten auch die Menschen immer mehr, das die Psychologen eigentlich viel besser über Gefühle Bescheid wüßten als der moderne Mensch.

Bei der Frage der Menschenkenntnis war dieser Verdrängungsprozeß offenkundig nur bruchstückhaft möglich, da Menschen permanent andere Menschen einschätzen und sie beurteilen. Aber bei der Frage, wie mit schwierigen Lebenssituationen umgegangen werden soll, also bei der aktiven "therapeutischen Fertigkeit", da entstand schleichend und analog zu dem ärztlichen ein psychologisches Monopol. In den sozialen Gemeinschaften etablierte sich ein psychologischer Expertenstand, der letztendlich alleine für die "Behandlung" solcher Fragen zuständig war. Und immer mehr erkannte die Bevölkerung diesen Monopolanspruch auch an. Das derzeit oft in der Bundesrepublik diskutierte Lebensberatungsgesetz, das für Psychologen, Kirchen und Ärzten bezeichnenderweise eine Ausnahme machen möchte, zeigt genau wie empfindlich mittlerweile darauf reagiert wird, wenn dieses Monopol verletzt wird. Es ist nur der Endpunkt dieser Entwicklung.

Ein bemerkenswerte Unterschied sollte jedoch erwähnt werden: Während bei der Medizin das Anerkennen des Expertenwissen und der Verlust des eigenen Heilwissen schon vor einem Jahrhundert fast abgeschlossen war, so ist das psychologische Expertenwissen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so richtig zur Anerkennung gekommen.

Man sollte uns nicht mißverstehen, wir glauben nicht an eine böse Verschwörung der Psychologen, genausowenig wie wir an eine böse medizinische Verschwörung glauben. Aber nichts desto trotz gehen wir davon aus, das die Etablierung beider "Wissenschaften" soziale Folgen hatte, die erst jetzt so langsam deutlich werden.

Die neuen Samariter

Psychologen müssen naturgemäß ihre Zunft verteidigen. Und so lautet die Standardapologie der professionellen Seelendeuter seit eh und je folgendermaßen: "Die moderne Gesellschaft ist so hart und ist so gemein, sie fügt den Menschen so viele Verletzungen zu, daß hier ganz besonders ein eigener Berufsstand an professionellen Seelenheiler von nöten ist." mit anderen Worten: Wir heutigen Menschen sind seelisch so verkrüppelt, daß ganz besonders die Herren und Damen aus der Klappse nötig haben. Abgesehen davon, daß dieser Erwiderung ganz merkwürdig unhistorische und romantische Verklärungen anderer Gesellschaften und Kulturen zugrunde liegen müssen (sind andere Kulturen "gesünder" wie wir? Gab es zur Römerzeit weniger "Verletzungen"?), fallen zu allen Überfluß den Verkündern dieser These auch noch die eigenen Standeskollegen in den Rücken.

Denn dann gab es mal einen ehemaligen Psychologe, Michel Foucault, der historische und soziologische Studien darüber startete, wie die Rigidität und Tristesse unserer Kultur gerade durch die moderne Psychologie entscheidend verursacht wurde. Auch hier nicht, weil Psychologen ein besonders hinterhältiger Menschenschlag sind, sondern weil er vermutetete , daß die "Technologie" zur Disziplinierung und Normierung des modernen Menschen quasi automatisch durch die Institution Psychologie erarbeitet wurde.

Foucaults These läßt sich etwas plakativ etwa so referieren: George Orwells totalitäter Staat ("Big Brother is watching you") liegt nicht als bedrohliche Utopie in der Zukunft, sondern ist schon längst in der westlichen Kultur realisiert. Nur: Es merkt keiner. Niemand fällt mehr auf, das es z.B. Jahrzehnte an Forschung und zwei Jahrhunderte an Disziplinierung brauchte, bis wir Westeuropäer es als ganz selbstverständlich empfanden, unsere Kinder 6 Stunden täglich in Schulbänke zu pferchen und darauf zu dressieren, nach vorne auf eine Tafel und einen Lehrer zu starren. Wer Kinder beobachtet, braucht eigentlich nicht lange, um zu wissen, daß die kindliche Art in die Welt zu gehen voll von Bewegungsdrang, Spontanität und Eruption ist. Er braucht nicht lange, um zu wissen, daß die derzeitige Art wie Kindern Wissen vermittelt wird, etwas zutiefst unnatürliches ist. Aber so etwas fällt uns, wenn wir ehrlich sind, gar nicht mehr auf.

Foucault hatte es sich zur Aufgabe gemacht, eine Menge dieser Dressuren und Disziplinierungen des modernen Westeuropäres aufzuzeigen und wieder ins Bewußtsein zu rufen. Nicht nur das Schulwesen interessierte ihn, auch die Fügsamkeit des Arbeiters in der Werkbank, die Akzeptanz des modernen Gefängnis und des Polizeiwesens, die Dressur des Soldaten genauso wie die Dressur des Patienten. All diese Disziplinierungsgewohnheiten waren Mittel der modernen bürgerlichen Gesellschaft sich selbst effektiver und effizienter zu gestalten, um ihren Weg in eine hoch fortgeschrittene Industriegesellschaft zu finden. Und merkwürdigerweise findet man am Anfang dieser gesellschaftlichen Entwicklung überall eine Konstante: die moderne Psychologie. Selbstverständlich keine Psychologen aus Fleisch und Blut, die die Unterdrückung der Menschheit planten. Nein, am Anfang stand das Entwickeln von Methoden, Michel Foucault nennt sie "Biotechnologien", die die Normierung des Menschen "zu seinem Heil und zum Heil der Gesellschaft" als humanitäres, später therapeutisches Ziel konzeptionell in der Psychologie angelegt hatten.

Natürlich sehen die Kollegen von Foucault das anders. "Psychologie", so referieren sie noch heute gerne, "dient zur Humanisierung der Gesellschaft, sie lindert Leiden und befähigt zu einem aufrechten Gang." Psychologen halten sich bis heute gerne für die wahren Samariter der westlichen Hemisphäre, die verzweifelt darum kämpfen, wenigstens ein paar Menschen halbwegs lebensfähig zu halten. Längst ist es ein Allgemeinplatz für sie geworden, daß eigentlich jeder Mensch in dieser Gesellschaft mehr oder weniger beschädigt ist, der eine kommt damit klar, die andere nicht. Psychologen kämpfen gegen das menschliche Leid einen heldenhaften, selbstaufopferungsvollen Kampf. Für Foucault ist das eine Rechtfertigung, die Psychologen schon seit Beginn ihrer Disziplin vor sich hertragen und der er gar nicht widersprechen will. Nur seiner Meinung nach trifft sich das merkwürdigerweise gut mit den Bedürfnissen der modernen Gesellschaft: Selbstverständlich sollte vor 200 Jahren kein Arbeiter leiden, wer er stundenlang schuftet, selbstverständlich soll heute unsere moderne Dienstleistungsgesellschaft nicht aus lauter Gestörten bestehen, die hin- und wieder ihre Nachbarn mit einer Kalschnikow umnieten. Und selbstverständlich muß die Gesellschaft immer humaner werden, wenn sie immer effizienter werden soll. Nur mit Freiheit hat das recht wenig zu tun. Und ob gerade die Psychologie die Anführerin der modernen Freiheitsbewegungen ist, darf anhand ihrer Geschichte deutlich bezweifelt werden, selbst wenn sich seit Wilhelm Reich und Erich Fromm die moderne Soziopsychologie gerne auch noch diesen Hut aufsetzen will.

"Ja unn", fragt jetzt der Heide, der sich die Qual auferlegte bisher mitzulesen. "Was soll das jetzt auf der Rabenclan-Seite? Unn weider?"

"Na ja", würden wir etwas zögerlich antworten, "Psychologie ist für Heiden ein eminent wichtiges Thema. Etwas, mit dem sich Heiden ganz besonders auseinandersetzen müssen und das von ihnen noch viel zu selten beachtet wird." Denn 1) ist die westliche Psychologie etwas zutiefst christliches und 2) widerspricht sie dem, von dem wir, die Autoren, glauben, daß es den Kern des Heidentums ausmacht.

1) Psychologie: ein christliche Kultpraxis

Psychologie ist die Wissenschaft von der Seele. Ursprungsort und Kern psychologischer Praxis ist das therapeutische Gespräch: Ein Klient auf der einen Seite, und ein Experte, der Therapeut auf der anderen Seite. Selbstverständlich sind den Autoren die Entwicklungen der modernen Gruppentherapie nicht entgangen, aber das Grundmodell, mit dem die Psychologie startete und die Blaupause, auf der auch alle gruppentherapeutischen Neuerungen erst verständlich werden, ist diese traute Runde der Zweisamkeit zwischen Klient und Therapeut. Das Gespräch ist vertraulich, es fällt unter die Schweigepflicht. In dem Gespräch ("der Behandlung") geht es um Heilung. Dabei sind die Rollen zugeordnet: Es gibt einen, der sich offenbart und einer der zuhört. Ein Sprecher und ein Schweiger. Doch der Schweiger ist gleichzeitig ein Deuter: er ist derjenige, der in der Lage ist, eine Diagnose zu stellen und eventuell eine "therapeutische Intervention" zu gestalten. Kernpunkt des Settings ist letztendlich die Selbstoffenbarung des Sprecher: Er erzählt von sich, er berichtet von dem was ihn bewegt. Er redet sich die Seele frei. Er hört in sich und forscht bei sich, was denn so in seinem Innern vorgeht.

Es gibt ein historisches Modell für dieses Praxis, das Pate stand für dieses "Setting": Die Beichte bei einem christlichen Priester. Die Beichte, eine Praxis, die als erstes von irischen Mönchen gepflegt wurde und sich dann im Laufe der Jahrhunderte auf den ganzen europäischen Festland ausbreitete, war seit dem Mittelalter das Verfahren zur Läuterung der Seele eines christlichen Menschen. Die Gewissensprüfung, das penible Erforschen der Seele nach sündigen Gedanken, das Berichten aller Verirrungen bei einem schweigsamen und kundigem Zuhörer, und die Gnade der Diagnose, ob und welche Verfehlung denn hier das Heil gefährden könnte - die Parallelen lassen sich bis in kleinste Details verfolgen. Der entscheidende, säkulare Schritt der neuen gegenüber der alten Branche ist dabei die neuzeitliche Loslösung von der Transzendenz. Nicht "Heil" war mehr Zielpunkt aller Prozeduren, sondern "Heilung".

Eigentlich ist es nicht erstaunlich, daß - wie in vielen anderen Bereichen der Wissenschaft auch - das Christentum als Sitz und Garant für Bildung und Wissenschaft auch hier als Inspirator und Vorlieferant für neuzeitliche Entwicklungen einer modernen Wissenschaftsinstitution fungierte. Spätestens nachdem der Psychoanalytiker Erich Fromm in seinem Buch "Psychoanalyse und Ethik" Priester und Psychologe gleichgesetzt hat, wird ja auch von Psychologen gerne die These vor sich her getragen, daß der moderne Therapeut den Job des Priesters übernommen habe. Nur: In der Regel wissen sie gar nicht, wie abgründig wahr diese These tatsächlich ist.

Es spricht einiges dafür, daß den heidnischen Traditionen in Europa die Technik der Seelenerforschung, um jeden noch so unlauteren und sündigen Gedanken zu finden, fern war. Die Praxis der Beichte war es ohnehin - genauso wie die ganze christliche Semantik um das "Heil" eines Menschen. Auch das Anvertrauen an einen Anderen, von dessen Sündenfreispruch das eigene "transzendente" Wohl abhängt, ist ebenfalls nicht gerade gängige heidnische Praxis gewesen. Vielleicht ist ja die Ursache, warum die moderne Psychologie in den Städten startete und erst langsam auf dem Land sich etablierte, in dem Umstand zu suchen, daß das Landvolk bedingt durch heidnische Reste auch im Umgang mit der eigenen Seelen-Befindlichkeit den Städtern doch recht fern war. Es konnte vielleicht im Gegensatz zum Bürgertum noch nicht so viel mit der peniblen Prüfung des eigenen Gewissens etwas anfangen. Innerlichkeit war von jeher etwas, mit dem sich Städter brüsteten - bis heute.

2) Wie die Psycho-Couch die Diskussion mit dem Schlehdorn ersetzte

Heiden haben keinen Glauben.

Diese Auffassung hat sich beileibe noch nicht bei Heiden herumgesprochen: da wird noch gerne vom heidnischen "Glauben" gefaselt und mutig das "Bekenntnis" in einer christlichen Umgebung gefordert. Es gibt heidnische "Offenbarungen", heidnische "Gebote" usw. Doch neben der Verwendung christlicher Worte werden auch ganze Glaubensvorstellungen übernommen, den Monotheismus gibt's jetzt auf weiblich: "alle heidnische Göttinnen sind eins". Kurz man tut so, als ob in einer christlichen Begriffswelt nur die Namen als Platzhalter ausgetauscht werden müssen und man dann an Stelle von Jesus jetzt von Odin reden kann. Wir halten das für ausgemachten Schwachsinn."Odin liebt Dich..."? Nein danke.

Für uns ist es kein Zufall, wenn hiesige Boardteilnehmer, die permanent das christliche Begriffsarsenal gebrauchen, um sich als Heide zu "bekennen", irgendwann die Glaubenskrise bekommen und sich dann abrupt um die Beschäftigung mit ihren christlichen Wurzeln kümmern müssen. Sie haben die christliche Semantik nie verlassen und wundern sich dann, wenn sich ihnen als Heiden irgendwann "christliche" Fragen stellen, von denen sie sich schon lange losgelöst glaubten. Der Gipfel der Naivität ist erreicht, wenn die Probleme dieser Heiden dann als Beleg dafür gelten, daß besagte Semantik gar nichts spezifisches christliches sei sondern nur sich auf das beziehe, was ohnehin Problem jedes Menschen sei. Der Zirkelschluß ist nicht neu, nicht umsonst gingen Christen schon immer davon aus, daß Mensch-sein eigentlich Christ-sein bedeutet: "Im Grunde glaubt doch jeder an einen Gott, oder? Ihr nennt das nur anders..."

Heidentum ist unseres Erachtens kein heidnischer "Glaube" oder soziologisch ausgedrückt: keine "Weltanschauung". Heidentum ist eine andere Art mit den Dingen umzugehen, eine andere Art zu handeln. Heidentum ist etwas, was sich auf das Handeln bezieht. Woran dabei geglaubt wird ist, im Gegensatz zum Christentum, eigentlich nicht so wichtig. Deswegen hat eine Heidin auch kein Problem, wenn ihr ein Christ von seinem Glauben erzählt. Es gibt keinen originär heidnischen Glauben (also ein System von Aussagen). Und wo kein Aussagensystem vorhanden ist, kann es also auch keinen Widerspruch geben, wenn Christen ihren Glauben, also ihr Aussagensystem gegenüberstellen.

Christen sehen das freilich anders: Für sie leitet sich ihr Handeln von einem Aussagensystem (der Bibel letztendlich) ab. Und in typischer Arroganz nehmen sie an, daß es alle anderen auch so machen. Deshalb segeln sie seit Jahrhunderten um die Welt und entdecken überall bei den fremden Völkern einen "natürlichen Glauben". Und schon leiten sie alles Handeln fremder Völker ebenfalls von einem Glaubenssystem ab. Und wenn sich ein solches Glaubenssystem nicht finden läßt, dann rekonstruieren christliche Wissenschaftler eben eines. Sie lassen sich die Märchen, Anekdoten und Geschichten der fremden Völker erzählen und siehe da, schon haben sie einen Glauben gefunden. Und dann stellen sie ihr eigenes Glaubenssystem diesem animistischen, primitiven System gegenüber und zeigen den Widerspruch auf. (Und bekanntlich wissen wir seit Aristoteles: wenn sich zwei Aussagen widersprechen, kann nur eine wahr sein.). Daß später die Wissenschaftler keine Christen mehr waren stört dabei nicht. Auch säkulare Wissenschaftler sind durch jahrhundertealtes Training darauf gedrillt, überall und immer einen "Glauben" zu entdecken. Selbst dann, wenn ihnen ein Volk verzweifelt klar machen will, daß es einen solchen gar nicht hat. Es erstaunt also nicht, daß Christen behaupten und behauptet haben, es gäbe einen heidnischen Glauben. Tragisch wird es nur, wenn Heiden, diesem "Irrglauben" ;-) ebenfalls aufsitzen.

Eine Hebamme vergräbt eine Planzenta
"Heidentum: ein anderer Umgang mit den Dingen"
(Foto: S.Steinhäuser)

Wenn Heidentum aber, wie wir eben behauptet haben, eine Art zu handeln ist, dann ist Heidentum ein bestimmtes Know-How. Für uns ist es kein Zufall, daß Heidentum in einer Zeit seine Renaissance erlebt, in der eine Vielzahl an seltsam "neuen" Praktiken und Fertigkeiten in Europa ihren Einzug halten: Feng Shui, Reiki, Mineralienheilkunst, Tantra und Astrologie, ayurvedisch kochen und makrobiotisch diäten, germanisch saufen und auf Wicca-Art beleidigt sein. Unseres Erachtens ist Heidentum mit diesen Dingen wesensverwandt, es spiegelt den kulturellen Know-How-Transfer, der derzeit in unserer Lebenswelt stattfindet, wieder und fügt ihnen noch ein weiteres Element dazu: daß der "Haltung". Heidentum ist auch eine spezifische Art der Haltung, mit der man in der Welt handelt. Es umfaßt ein andere Art, Dinge wahrzunehmen, wie es z.B. ein Christ tut. Es umfaßt eine andere Art des sozialen Umgangs (z.B. wenn Kobolde und Schlehdorn als eigenständige Personen akzeptiert werden, mit denen man auf spezifische Art kommunizieren und interagieren muß.) Und es kann sogar eine andere Art bedeuten, mit Gefühlen und Gedanken umzugehen. Selbstverständlich ist das "praktische Wissen" des Heidentums nicht nur magischer Art, sondern eben auch sozialer, heilkundlicher, handwerklicher, "spiritueller" usw. Art.

Das Problem heutzutage besteht darin, dieses praktische Wissen zu kultivieren. Oder wie es in der Satzung des Rabenclans sinngemäß so schön heißt: "Wir sehen es als unsere Aufgabe, deren altes Wissen [das der alten vorchristlichen Religionen Europas] zu sammeln, zu bewahren und anzuwenden." Warum dieses Wissen kultiviert werden sollte, ist klar: man geht davon aus, daß es viel Wertvolles beinhaltet, das heute uns Menschen noch nützt oder uns schlicht erfreut. Doch die entscheidende Frage ist: wie kultiviert man dieses Wissen?

Jetzt kommt die Psychologie ins Spiel. Wenn es wahr ist, daß die Expertenkultur der Psychologie ein altes soziales Know-How verdrängte, das hier vorher einer viel größeren Anzahl von Menschen zur Verfügung stand, dann war die Etablierung der Psychologie Ausdruck eines viel allgemeineren kulturellen Trends zur Verdrängung wertvoller Techniken und Fertigkeiten, wie er in einer Vielzahl von Gebieten (Medizin, Ernährung, Ackerbau und Viehzucht, Jagd, Liebestechniken, usw. ) stattfand. Und psychologische Handlungs- und Deutungsvorschläge der Experten übernahmen im säkularen Zeitalter in einem zentralen Bereich unserer Lebens jene Funktionen, die vorher das soziale Know How hiesiger Völker ausmachte.

Heidnisches Wissen

Psychologen beschäftigen sich noch heute gerne damit, welche Wahnvorstellungen oder neurotischen Gefilden jene Menschen nachhängen, die vermeinen Zwerge und Elfen zu sehen, an Magie zu glauben oder von einer Unterhaltung mit Odin berichten. Das mag uns nicht weiter befremden, bei Marxisten wurden zur Erklärung der gleichen Phänomene noch das das ideologische Bedürfnis des Bürgertums bemüht, über die grausamen Realitäten des Kapitalismus mit einer Märchenwelt hinwegzutäuschen. Wichtiger als die offenkundig einfallslose Kritik der Psychologie ist für Heiden jedoch die Monopolstellung der Psychologie, was soziales und emotionales Know-How betrifft.

Wenn die Verdrängung des Heidentums mit dem Vormarsch psychologischen Denkens zu tun hätte, dann würde Kultivierung des Heidentums also bedeuten, das oben geschilderte soziale und emotionale Know-How wieder zu entdecken und auszubauen. Und in der Tat finden wir in vielen Traditionen Relikte dieses Wissens. Ein Wissen allerdings, das nicht unbedingt immer wie die Psychologie von einer Norm der Gesundheit und dem daraus resultierenden Zwang einer Heilungsbehandlung ausgeht. Wer Liebeskummer hat, ist kein "Heilungsfall" - auch wenn Psychologen das gerne so hätten. Wessen Kinder im Kampf gemeuchelt wurden, bedarf zwar der Hilfe, aber nicht unbedingt der "Behandlung". Freilich kann aus so etwas Krankheit entstehen, nicht umsonst gibt es die Redewendung: "krank vor Kummer". Aber das ist etwas anderes als aus einer "seelischen Not" kategorial ein Zustand der Krankheit zu machen. Emotionales Wissen heißt nicht unbedingt in Kategorien von krank oder gesund, von Heilung und Genesung zu denken.

Wir glauben, daß dieses "emotionale Wissen" von heidnischen Kulturen sogar in der Lage war, selbst mit solchen Härtefällen wie Wahnsinn etc. zurechtzukommen. (Selbst das "milde- stimmen" von beleidigten Wiccas dürften sie beherrscht haben). Schließlich leben Menschen nun schon seit Jahrtausenden mit solchen Dingen. Und wir glauben, daß dieses Wissen so umfassend gewesen ist, daß die Pflege und Wiederentdeckung eines solchen äußerst fruchtbare Konsequenzen auch für die anderen heidnischen Fertigkeiten hat. (Übrigens bedeuten soziales oder emotionales Know How nicht das Paradies auf Erden. Das Vorhandensein eines solchen Wissens hindert einen nur sehr bedingt daran, nicht dennoch grausame Riten zu haben oder brutale Kriege zu führen.)

Heiden können also wieder Praktiken etablieren, die konkurrierend zur Psychologie helfen, mit menschlichen Nöten und schwierigen Lebenssituationen umzugehen. Und diese Praktiken wären außerhalb der gängigen Praxis der Disziplinierung und Normalisierung, der Dressur des modernen Menschen, zu der die Psychologie so kräftig beigetragen hat und beiträgt. Heidentum ist eigentlich also etwas, was letztendlich die Psychologie zu Grabe trägt - zumindest dort, wo Heiden unter sich sind.

In unserer Überschrift haben wir gefragt, ob ein Psychologe hinter einen Opferaltar gehört. Wir würden jetzt sagen: Definitiv nein, er ist - ohne, daß er es weiß - dem Heidentum fremder als er glaubt.

Auf einer kleinen Tagung hat einer der beiden hier schreibenden Autoren (Hagebutte) die These vorgetragen, daß die europäische Seminarszene aufgrund ihrer psychologischen Wurzeln eine Technik der Wissensvermittlung verwendet, die per se der Kultivierung magischen Know Hows schadet - eine These, die wir hier nicht weiter erklären wollen. Er wurde jedoch nach seinem harmlosen Referat von einer Person, die offenkundig der Psychologie nahestand, mit einer Frage konfrontiert: Was er denn für schlechte persönlicher Erfahrungen, gar Verletzungen in einem psychologischen Seminar erlitten habe, daß er solche Thesen vertreten müsse?

Er erinnerte sich an eine Überschrift, die ihm schon lange im Kopf umhergeisterte und beschloß: Sie gehören ganz sicher auf den Opfertisch.

Hagebutte und Wacholder

Anmerkung: Der Artikel ist lange vor den Ereignissen in den USA geschrieben worden. Keine der Anspielungen im Artikel beziehen sich auf die jüngsten Ereignisse. << Warum die Hühner sich nach wildem Sex sehnen | Liste Nach Autoren | Ariosophie - ein Überblick >>

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