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28.04.2017, 09:55

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Hrafndaelar Saga - Ein Experiment

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3. Sagatypisches Verhalten und seine Grundlage

Ansehen und Ruf

In der staatslosen isländischen Gesellschaft verfügten die Mächtigen nicht über Polizei, Gerichtshöfe, Gefängnisse, Behörden, öffentliche Schulen, Armee, Psychatrien, Fernsehen, eine abgeschottete rechtskundige Elite oder geschriebene Gesetze, um den weniger Mächtigen ihren Willen aufzuzwingen. Kapitalanhäufung durch Zins gab es nicht, Geld war ein reines Tauschmittel. Medien in staatlicher oder privater Hand existierten nicht.

Das Kapital der Mächtigen war daher ihr Ansehen. Da sie keinerlei Möglichkeiten hatten, den Nachrichtenfluss (Geschichten, Tratsch, Verse ...) zu unterbinden und sich wichtige Ereignisse im ganzen nordischen Kulturkreis herumsprachen (ganz zu schweigen von Island), mussten sie so agieren, dass ihr Ansehen gewahrt und gemehrt wurde.

Ebenso war Ansehen der Weg zu gesellschaftlichem Aufstieg. Wer entsprechend handelte, konnte auch Leute von privilegierter Abstammung im ständigen Kampf um den besten Ruf herausfordern.

Die Kehrseite ist freilich Schmach und Schande. Diese waren selbstverständlich für die Höherstehenden gefährlicher als für die Unbedeutenden. Wenn ein Knecht feige war, interessierte das in Nachbarbezirk niemanden, aber wenn sich ein bekannter Mann feige verhielt und es sich herumsprach, war das der Anfang vom Ende, zumal auch damals die Konkurrenz nicht schlief.

Zur Orientierung diente eine Art ungeschriebener Kodex, der dem Handelnden und denen, die sein Handeln (und damit ihn) bewerteten, als Richtschnur diente. Da die Skandinavier der Heidenzeit keine Theoretiker wie Aristoteles hatten (und eine moralphilosophische Betrachtung hier auf jeden Fall zu weit führen würde), liste ich im Folgenden eine Art "Tugendkatalog" auf. Dass dieser künstlich und verkürzt ist, bitte ich stets zu bedenken.

Klugheit

Entgegen anderslautenden Klischees wurde Klugheit anscheinend höher bewertet als Tapferkeit. Es ist die Klugheit, die das richtige Handeln erst ermöglicht. Klugheit ist in vielen Islandsagas die Waffe der weniger Mächtigen. Klugheit wurde mit Welterfahrenheit in Verbindung gebracht – der Idiot heißt im Altnordischen "heimski", d.h. der, der nur sein Zuhause kennt. Besonnenheit scheint wesensmäßig zur Klugheit gehört zu haben.

Treue

In einer staatenlosen Gesellschaft, in der Verwandtschaft und Freunde alles sind, das A und O. Das Wissen, dass der Einzelne nichts war (die schlimmste Strafe war die Ächtung), machte die Treue zum unverzichtbaren Kitt der lebenswichtigen menschlichen Beziehungen. Jeder Nutzen ist förderlich für den Verband (die Sippe), jeder Schaden trifft alle. Dass man zu seiner Sippe hielt, war nicht rühmlich, sondern selbstverständlich. Rühmlich war die Treue, zu der man nicht absolut verpflichtet war – wenn man sich für einen Schutzbefohlenen in Lebensgefahr begab, wenn man Schaden und Belastungen auf sich nahm, um treu sein zu können. Dies gilt auch im Rahmen der asymmetrischen, nicht verwandtschaftlichen Beziehungen.

Tapferkeit

Wer feige ist, kann nicht treu sein.

Wort halten

Eine Gesellschaft ohne Gerichte und Vertragsrecht beruht auf Einhaltung – und zwar sinngerechte Einhaltung – von Absprachen. Wer sein Wort nicht hält, auf den ist kein Verlass.

Großzügigkeit

Die Isländer der Heidenzeit sahen Habgier und Raffsucht anscheinend mit Verachtung, die denjenigen traf, der sich so verhielt, besonders wenn er vermögend war. Schenken war rühmlich für den Schenkenden wie für den Beschenkten. Reichtum allein verschaffte kein Ansehen, und wer Reichtümer hatte, aber kein Ansehen, behielt den Reichtum nicht lange.

Höflichkeit

Auf den ersten Blick erscheint die Welt der Sagas sehr unformell. Man sagt im Altnordischen zu jedem "Du", auch zu Königen, offensichtliche Höflichkeitsrituale gibt es nicht. Aber bei näherem Hinsehen bemerkt man, wie die Höflichkeit - die Respektsbekundung gegenüber dem Anderen - das Miteinander bestimmt. Unhöflichkeit und Beleidigung drücken die Verachtung für das Gegenüber aus, sind also eine offene Herausforderung in einer Gesellschaft, in der das Ansehen von zentraler Bedeutung ist.

Künste und Fertigkeiten

Diese fallen nach zeitgenössischem Verständnis nicht unter die Kategorie "Tugenden". In den Islandsagas werden sie jedoch rühmend und zur Person gehörig geschildert.

Anmerkung: Kontrast zum Christentum

Mitleid und Barmherzigkeit sind in den Islandsagas keine Tugenden. Die Erklärung ist einfach: Sie erniedrigen den Adressaten und beleidigen ihn damit. Vergebung kennen die Sagas auch nicht. Wer seinen Feind ungeschoren lässt, wird dafür zu leiden haben - und nicht nur er, sondern seine Sippe und seine Freunde ebenso. Feindschaften schwelen über Jahrzehnte und Generationen. Den missliebigen Folgen steht die Tatsache gegenüber, dass es sich in einer solchen Gesellschaft jeder gut überlegt, sich Feinde zu machen. Ein isländisches Sprichwort: Ein Knecht rächt sich sofort, ein Feigling nie.

Recht und Rache

Bei Konflikten wird in den Isländersagas immer zuerst nach einer ausgleichenden Lösung gesucht, zB Vermittlung durch einen Angesehenen oder Verhandlung beim Thing. Die Sagas leben von denjenigen Fällen, bei denen das nicht möglich ist. Sie kennen – bis auf sehr wenige Ausnahmen – nicht den Konflikt Gut gegen Böse, sondern thematisieren diejenigen Konflikte, in denen widersprüchliche Verpflichtungen Menschen in unlösbare Konflikte treiben.

Der Kerngedanke des Konflikts ist seine Lösung, der Ausgleich. Kann er nicht geschaffen werden, können diejenigen, die ernsthaft Schaden erlitten haben, die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Der Verlust an individueller und kollektiver Selbstachtung sowie an Ansehen (s.o.) wäre untragbar. Wer Treueverpflichtungen nicht einhält, verliert das Gesicht - siehe oben.

Die Rache steht nicht außerhalb des Rechts, sondern ist ein Teil des Rechts - derjenige Teil, der greift, wenn die anderen Wege zu nichts führen.

Blutrache ist in der heidnischen isländischen Gesellschaft kein Verbrechen - zumindest kein moralisches, es kann die Ächtung nach sich ziehen. Mord nach den Definition der alten Skandinavier ist die heimtückische, geplante Tötung eines Menschen aus niedrigen Beweggründen - zum Beispiel Habgier.

Die Gisla Saga Súrssonar ist ein Beispiel dafür, dass ein wegen Blutrache Geächteter als ehrenwerte und tragische Figur dasteht, wogegen diejenigen, die ihn gesetzeskonform verfolgen, verächtlich sind. Zu dieser Konstellation kommt es, weil Gisli zuvor alles getan hat, um den Blutrachekonflikt zu vermeiden, und sich auch als Geächteter wie ein Ehrenmann verhält, während seine Verfolger heuchlerisch und geldgierig sind. Wie Alasdair McIntyre richtig feststellte: "Als Gisli nach den Jahren seiner Ächtung schließlich Rücken an Rücken mit seiner Frau und Schwägerin kämpfend stirbt, und die drei acht der fünfzehn Männer töten oder tödlich verwunden, die sich Hoffnung auf den auf Gislis Kopf ausgesetzten Preis gemacht hatten, ist es nicht Gisli, der verliert."

Aber genug der finsteren Aussichten - die Bewohner des Rabentals sind friedlich, besonnen und gerecht, so dass es zwischen ihnen gar nicht erst zu dergleichen kommen kann ...

... oder???

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