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Hans Schuhmacher Nationalismus
28.04.2017, 09:55

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NATIONALISMUS: DIE FALLGRUBE AUS DEM 19. JAHRHUNDERT

Eine Untersuchung zentraler Elemente rechter Ideologien
von Hans Schuhmacher (April 2005)

Einleitung

Eine der Aufgaben des Ariosophieprojekts besteht darin, zu erklären, wie und warum Menschen zu Rassisten oder deren Helfershelfern werden. Allein durch diese Aufgabenstellung ging das Projekt von vornherein einen ganz anderen Weg als die allermeisten anderen kritischen Beobachter neuheidnischer Gruppierungen sowie des Phänomens Neuheidentum insgesamt. Ich habe in etlichen früheren Arbeiten auf diesen Unterschied hingewiesen und aufgezeigt, wie die Vorgehensweise von Journalisten und Antifa das Problem nicht etwa löste, sondern verschlimmerte.

Geza von Nemenyi erzählte im Oktober 2004: "Das beruht zuerst auf einem Konsens von Heiden verschiedener Gruppen in Berlin. Da gab es den Ariosophen nahestehende, da gab es götterlose Völkische, da gab es Wicca usw. Um nun gemeinsam etwas machen zu können, haben wir uns strikt auf die Überlieferungen unserer Vorfahren festgelegt. Die "Götterlosen" mußten also lernen, daß die Germanen Götter verehrt haben und wir es nun auch machen, die Ariosophen mußten ihre abgehobenen Theorien (Silbendeutung à la List) aufgeben. Die Wiccas mußten die Vielfalt von Gottheiten anerkennen und die Mehlkreise im Gras gabs auch nicht mehr.(...) Aus diesem Ansatz hatte sich tatsächlich etwas Großes entwickelt, längst gab es die ursprünglichen Richtungen bei uns nicht mehr (ausgetreten oder assimiliert), aber unsere Form des Heidentums, die mit dem der Germanen zu vielleicht 95 % identisch ist, gab uns auch Kraft, erschloß uns Dinge, über die die Wissenschaftler teils noch heute rätseln, neu, und half uns in unserem Leben." (1)

Was hier vorliegt, ist der Bericht über einen Akt der Konstituierung, und er stammt von jemandem, der maßgeblich an den Vorgängen beteiligt war. Man wollte "gemeinsam etwas machen" und betrachtete den zustande gekommenen Konsens dann anschließend als "die Überlieferungen unserer Vorfahren" bzw. deren Entsprechung ("die mit dem der Germanen zu vielleicht 95 % identisch ist"). Es ist hier nicht der Ort, Einzelheiten nachzugehen, wie zum Beispiel der Deutung des Terminus "Yggdrasil" durch Volkert Volkmann nach List'schem Muster, die ich in "Ariosophie - ein Überblick" referiert habe und die das Aufgeben der "abgehobenen Theorien" recht eigenartig illustriert, besonders angesichts von Volkmanns Leugnung ariosophischer Abhängigkeiten. Es ist hier auch nicht der Ort, länger als nötig bei Nemenyis höchst entlarvendem Bild zu verweilen, wie sich Völkische und Ariosophen die "Überlieferung unserer Vorfahren" zusammenbrauten. Die Provenienz dieser angeblichen "Überlieferung" konnten wir hier auch ohne Nemenyis Eingeständnis deutlich herausarbeiten, wenn auch eine Bestätigung unserer Thesen durch den "Allsherjargoden" persönlich nicht ohne Reiz ist. Es geht hier vielmehr um den Akt der Konstituierung selbst.

Etwas zu konstituieren bedeutet, es zu erfinden und es dann als schon vorher vorhandenes Element der Realität auszugeben. Konstituierungen treten häufig als Entdeckungen auf, eben um den Akt der Konstituierung als solchen zu vertuschen. Als man zum Beispiel die weibliche Hysterie erfand, um ein bestimmtes Spektrum weiblichen Verhaltens für krankhaft erklären zu können, stützte man sich dabei auf die Großmächtigkeit medizinischer und psychologischer Prozeduren und "entdeckte" Krankheitsbilder, die Ausschließung und Einsperrung der Betroffenen sowie den damit einhergehenden Normalitäts- und Disziplinarzwang auf alle anderen Frauen nicht nur ermöglichten, sondern geradezu erforderlich machten. Selbstverständlich entzieht sich der Akt der Konstituierung in der Regel auch dem Bewusstsein derjenigen, die ihn durchführen: sie halten sich selbst für Entdecker. Erzeugen zum Beispiel zeitgenössische Disziplinarapparate wie die Schulen unerwünschte Verhaltens- und Persönlichkeitsmuster bei einem immer größeren Prozentsatz von Kindern und Jugendlichen, "entdeckt" man eine neue Krankheit, zum Beispiel ADD/ADS, die es prompt "schon immer" gegeben haben soll. Damit sind die Disziplinarapparate aus der Verantwortung, die Abweichler sind "krank" und alles ist, wie es sein soll, zumal nunmehr der klinisch-medizinische Disziplinarapparat auf den Plan tritt und die Wirkung des schulischen verstärkt.

Ein solcher Vorgang ist gemeint, wenn ich sage, dass Nemenyi und seine Mitstreiter "die Überlieferungen unserer Vorfahren" konstituierten. Diesem Konstituierungsakt entsprach ein anderer, der nahezu parallel ablief und dessen Teilnehmer Buchautoren, Journalisten und die Antifa waren. Genau wie die Ariosophen und Völkischen konstituierten sie das "rechte Heidentum" und wiesen Nemenyi und seinen Mitstreitern eifrig alles zu, was diese als Bestandteile ihres Konstrukts für sich reklamierten: alte europäische Kulturen, ökologische Spiritualität, ganze kulturelle, kulturhistorische und soziale Komplexe. Durch diese erstaunliche Prozedur, die mit nichts so sehr Ähnlichkeit hat wie mit dem Vorgang, einem Einbrecher beim Eindringen in die Wohnung alle Schlüssel und die Nummernkombination des Tresors auszuhändigen, gelang das von Nemenyi beschriebene Unterfangen, es wurde "etwas Großes" daraus. Daher bezeichne ich die Konstituierung des rechten Heidentums als doppelte Konstituierung.

In anderen Arbeiten dieses Projekts habe ich gezeigt, dass das ariosophisch-völkische Konstrukt eben nicht die "Überlieferung unserer Vorfahren" oder irgend etwas dergleichen ist, sondern nichts anderes als ein von Fall zu Fall unterschiedlich zusammengesetztes Konstrukt, dessen Grundbausteine samt und sonders die "Wahrheiten" des 19. Jahrhunderts sind. Weiterhin habe ich an verschiedenen Stellen gezeigt, wie Menschen dazu gebracht werden, dieses Konstrukt (dennoch) zu akzeptieren und damit Rassismus und antidemokratischen Aktivitäten Vorschub zu leisten. Ich habe erläutert, wie bestimmte Gruppenstrukturen bestimmte Ideologien fördern und umgekehrt, und ich habe am Beispiel der völkischen Ideologie gezeigt, auf welchen Wegen diese sich unbemerkt einschleichen kann, indem sie an Komponenten der zeitgenössischen Normalität andockt.

Im vorliegenden Text möchte ich die letztgenannten Aspekte erweitern und vertiefen. Warum möchte jemand überhaupt Heide sein? Warum führt dieser Entschluss so häufig auf gewundenen Pfaden immer weiter nach rechts? Diese Frage ist besonders bedeutsam, wenn man voraussetzt, dass viele, die diesem Weg beschritten oder beschreiten, zumindest anfangs weder Rechtsextremisten waren noch den Wunsch verspürten, Rechtsextremisten zu sein oder deren Vorhaben zu unterstützen.

Bezeichnenderweise versagte angesichts dieser Frage die öffentliche Kritik an der rechten Heidenszene völlig, und zwar in erster Linie darum, weil sie die Frage weder sich noch anderen überhaupt stellte. Das Vorhandensein von zahlreichen Rechtsextremisten wurde festgestellt, lauthals verkündet - und davon versprach man sich anscheinend eine Lösung des Problems. So aber löst man überhaupt keine Probleme, im Gegenteil, man zementiert sie.

Im größeren Zusammenhang, nämlich angesichts der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in seiner Gesamtheit, ist das auch anderen aufgefallen. So schrieb Burkhart Schröder am 21.09.04: "Der kategorische Imperativ in der protestantisch geprägten Alltagskultur lautet: Habe die richtigen Gefühle, dann wird alles gut. Das Ergebnis ist für die herrschenden Klassen ein kathartisches: Alle Beteiligten fühlen sich entlastet, weil das vermeintliche Problem an Lehrer, Sozialarbeiter und Pfarrer delegiert werden kann. Die tun was. Was, interessiert dann nicht mehr, wenn sich mit der Vergabe der Fördergelder bei Gebern und Nehmern das beabsichtigte gute Gewissen auf Dauer eingestellt hat. Nur Gefühle zählen. (...)Der Kampf gegen Rechts, gegen Drogen und andere verpönte Dinge ist die moderne Form des mittelalterlichen Exorzismus und wird, wie jener, mit magischen Ritualen geführt. Das Tribunal sind nicht mehr die Inquisitoren, sondern die Medien. Anstelle der Hexenverbrennungen gibt es, streng autoaggressiv wie im Protestantismus üblich, Fackelzüge alias Lichterketten. Man bekennt sich schuldig und verbrennt symbolisch die eigenen Sünden. Die Bösen sind ja bekanntlich uneinsichtig und kommen bei den Ritualen der gut Meinenden gar nicht vor." (2)

Schröders Artikel trägt den Titel "Der Kampf gegen rechts ist gescheitert". So jedenfalls, möchte ich ergänzen, kann man ihn jedenfalls nicht gewinnen, und im Arbeitsfeld dieses Projekts ist er nicht gescheitert, weil er völlig anders geführt wurde. Dieses Arbeitsfeld war im Gegensatz zur Gesamtgesellschaft von Rechten erfolgreich annektiert und von der Öffentlichkeit diesen zugewiesen worden, dennoch werden sie kontinuierlich immer weiter zurückgedrängt.

"Unstrittig ist auch," schreibt Schröder," dass niemand zugeben wird, dass es sich bei der regierungsamtlichen "Antifa", initiiert nach dem Medienhype gegen Rechtsextremismus vor fünf Jahren, nur um heiße Luft und besorgte Attitüde in Permanenz handelt. Der "Kampf gegen rechts" war ein moraltheologischer Metadiskurs, flankiert durch die dazu passenden hysterischen Berichte, der, wie auch der "Kampf gegen Drogen", mit der Realität rein gar nichts zu tun hat und daher schon im Ansatz scheitern musste. (...)Die häufig anzutreffenden Textbausteine, Mut gegen oder Zivilcourage zu haben, oder die ethnologisch doch recht kühneThese, das Herzeigen der guten, wahren schönen Symbole, der heiligen Tücher oder des eigenen Gesichts würde magisch gegen das Böse wirken, beweist: In Deutschland sieht man, wenn überhaupt, Rassismus und Antisemitismus als theologisches, das heißt letztlich verhaltenstheoretisches Problem und nicht als politisches." (3)

Wer sich auf die Wirkmächtigkeit der von Schröder allerliebst geschilderten Bannrituale verlässt, braucht freilich keinerlei analytische Leistung zu erbringen - die Kritiker der Heidenszene in der Öffentlichkeit erbrachten auch keinerlei analytische Leistung. Wer auf die Bösen zeigt und sie böse nennt, ist gut und wird errettet. Mit anderen Worten: man darf sich überhaupt nicht darüber wundern, dass die Frage, wie und warum Menschen zu Rechtsextremisten werden, nicht gestellt wurde oder wird. Allenfalls darf ihre Schlechtigkeit festgestellt werden - sofern diese Schlechtigkeit deutlich genug abgegrenzt werden kann vom eigenen Gutsein. Denn dass es bei dem von Schröder beschriebenen "Kampf gegen Rechts" um nichts anderes geht als um individuelle und kollektive positive Selbstdarstellung, dürfte hinreichend klar geworden sein.

Allerdings: wer Rechtextremist wird, Rechtsextremisten unterstützt oder sie gewähren lässt, tut dies letzten Endes aus eigener Entscheidung. Zu untersuchen, wie es dazu kommt, heißt nicht etwa, die Betreffenden aus der Verantwortung zu nehmen. Meine Untersuchung ist ebenso wenig wie die vorherigen ein Aufruf zu Schonung oder "Verständnis" - letztes allenfalls im Sinne von "verstehen", nämlich zum Verstehen des Gegners, dem man sich gegenübersieht, wenn man Rechtsextremismus ablehnt.

Weiter zu:

Teil 1: Nationalismus

Teil 2: Rückbezug auf die Vergangenheit

Teil 3: Naturreligion als strukturelle Nostalgie


(1) http://www.paganforum.de/showthread.php?t=440&page=3 Ich habe diese Äußerung Nemenyis mehrfach bei der Beantwortung von Anfragen zitiert
(2) http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/mein/18369/1.html
(3) s.ebd.

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